Bertlich. Wohngruppe des Christlichen Jugenddorfes bietet die Chance, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Wer hier lebt, hat etwas verloren. Den Zusammenhalt der Familie, die ungetrübte Kindheit, manchmal sogar den Glauben an sich selbst. Hier zu sein aber heißt, etwas zu gewinnen. Freunde zum Beispiel, die helfen, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und eine Chance, manchmal die letzte für lange Zeit. Und das wissen die Jugendlichen in der Wohngruppe des Christlichen Jugenddorfes in Herten.

„Oft wurden die Jugendlichen in der Familie vernachlässigt oder misshandelt. Manchmal ist ein Elternteil gestorben, der Vater sitzt im Gefängnis oder die Eltern sind selbst psychisch krank und können die Unterstützung, die sie gerne geben würden, nicht geben“, weiß Amelie Rotthoff um die Geschichte der jungen Menschen, die sie hier aufnimmt und betreut. Wenn die das möchten, ist ihr wichtig zu unterstreichen. „Nach einem Kennenlernen entscheiden die Jugendlichen selbst, ob sie hier leben möchten. Wir bieten nur den Ort an, an dem sie zur Ruhe kommen und sich auf sich selbst besinnen können.“

Und die Besinnung ist hier ernst gemeint. Alle technischen Relikte des bisherigen Lebens müssen abgegeben werden. Kein MP3-Player, durch dessen Musik man sich isolieren kann, keine Playstation, kein Fernseher, kein Handy. All dies sind Privilegien, die sich die jungen Menschen durch ein gutes soziales Verhalten und durch die Übernahme von Verantwortung im Alltag erarbeiten müssen.

Das alles hat Felix (Name von der Redaktion geändert) nichts ausgemacht. Der 17-Jährige kam im Januar hier her. „Ich hatte zu Hause ziemlich viel Stress“, erzählt er von Problemen und sogar Handgreiflichkeiten mit dem Stiefvater. Erst hier fand Felix wieder auf die richtige Bahn. „Ich habe jetzt meinen Hauptschulabschluss gemacht und fange meine Berufsvorbereitung an“, ist er sicher, dies in seinem vorherigen Umfeld nicht hätte schaffen können. „Es ist schön, hier zu leben. Ich konnte zur Ruhe kommen.“ Weil ihm technische Geräte nicht zur Verfügung standen, begann der junge Mann zu lesen. Und ein weiteres Hobby hat er für sich gefunden. „Ich mache jetzt Breakdance.“ Ein Jahr noch will Felix im Jugenddorf bleiben. Bis dahin, ist er sicher, weiß er genau, wie seine Zukunft aussehen soll.

Das Leben lehren

Bei Felix ist es aufgegangen, das Konzept des Christlichen Jugenddorfes. Die Mitarbeiter lehren die jungen Menschen das Leben. Mit allem was dazu gehört. Sie lernen einkaufen, kochen, putzen. „Die Jugendlichen müssen lernen, Alltagsaufgaben zu bewältigen. Das fängt schon mit dem pünktlichen Aufstehen an“, so Amelie Rotthoff. Mit ihrem Team sucht sie für die Jugendlichen den geeigneten Bildungsweg, hilft in Schulangelegenheiten weiter. Und auch am Nachmittag stehen Bildungsangebote auf dem Programm. „Wir haben zum einen sportliche Freizeitangebote vom Schwimmen bis zum Tanzen. Dazu kommen kreative Angebote wie gestalterisches Arbeiten. Aber auch politische Themen diskutieren wir in der Gruppe.“ Dazu gehört natürlich auch, im Alltag ein Verständnis für Demokratie zu erlernen.

Ein weiterer Aspekt ist die religiöse Bildung. Das Christliche Jugenddorf hat eine ökumenische Ausrichtung. Daher geht es weniger um den Besuch von Gottesdiensten. „Wir versuchen vielmehr, ein System von Werten zu vermitteln. Wir sprechen über die zehn Gebote und darüber, welchen Einfluss sie auf das Grundgesetz haben. Und natürlich thematisieren wir die christlichen Feste und Feiertage.“

Ganz im christlichen Sinne widmen sich die Mitarbeiter jedem jungen Menschen, der bereit ist, seine Chance im Jugenddorf zu ergreifen. Das gelingt nicht in jedem Fall. „Aber wir versuchen, keinen verloren gehen zu lassen“, so Rotthoff. „Leider schaffen wir das nicht immer.“