Buer. Vor 100 Jahren bekam Buer die Stadtrechte verliehen.

„Buer ist eigentlich viel zu spät zur Stadt erhoben worden“, sagt Dr. Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte. Er hat sich intensiv mit der Historie Buers und Gelsenkirchens beschäftigt und weiß wovon er redet: Schon lange vor der Verleihung der Stadtrechte erfüllte Buer entscheidende Kriterien, die bei anderen Ämtern zur Stadtwerdung gereichten.

Rückblick: Im Jahr 1448 wurde das Dorf Buer zur Freiheit erhoben, wie Goch ausführt. Damit gingen erweiterte Planungsrechte einher, wie zum Beispiel der Bau einer Befestigung. Außerdem wurde Buer damit aus dem Lehnsverhältnis zum Kloster entlassen. Ein erster Schritt zur Selbstständigkeit.

Während der französischen Besatzung wurde Buer zur „Mairie“ erhoben. Das bedeutete: Buer erhielt einen Bürgermeister (frz: „Maire“) und ein dazugehöriges Amt. Eine „Mairie“ war während der Besatzung von 1800 bis 1815 die kleinste Verwaltungseinheit im Staat, der noch Kanton und Departement übergeordnet war.

Nach dem Wiener Kongress wurde Buer der Provinz Westfalen im Staat Preußen zugeschlagen, zunächst dem Landkreis Essen, nach dessen Auflösung im Jahr 1816 dem Landkreis Recklinghausen.

Als Amt war Buer, wie Stefan Goch erläutert, jedoch keine selbstständige Gemeinde: „Der dem Bürgermeister vorgesetzt Amtmann wurde nicht von den Bürgern der Stadt sondern vom preußischen Staat eingesetzt.“ Und der hatte folgerichtig mitunter ganz andere Interessen als die Bürger der Stadt. Außerdem durfte Buer keine eigene Polizei aufstellen. „Die Gendarmerie wurde vom Landrat eingesetzt“, so Goch.

Durch die Ansiedlung der Zechen im Stadtgebiet stieg die Bevölkerungszahl allerdings rasant. Zählte Buer im Jahr 1858 (als die Zeche Nordstern den Betrieb aufnahm) nur etwas über 4000 Einwohner, waren es 1890 schon über 11 000 Bürger. In der Zwischenzeit waren unter anderem die Zechen Hugo (1873) und Graf Bismarck (1882) eingerichtet worden; 1895 begann Ewald mit der Förderung.

„Innerhalb weniger Jahre entstanden mehr als 15 000 Arbeitsplätze“, berichtet Stefan Goch. „Außerdem waren die Familien damals größer. Vier bis fünf Kinder waren keine Seltenheit.“ Da wundert es nicht, dass die Bevölkerungszahl zur Jahrhundertwende bei fast 30 000 Einwohnern lag, fünf Jahre später die 40 000er-Marke überschritt und im Jahr 1910 über 60 000 Bürger verzeichnete.

Schulen und
potente Steuerzahler

Allein deshalb war Buer eigentlich schon eine Stadt. „Es gab dazu viele Aspekte, die für ,städtisches Leben’ standen“, erläutert Goch. Es gab Schulen, potente Steuerzahler und auch eine eher städtische Infrastruktur.“

Doch warum wurden Buer die Stadtrechte nicht schon viel früher als 1911 verliehen? Goch: „Es gab starke Bedenken seitens der preußischen Obrigkeit. Buer galt als ,national unzuverlässig’“. Das hatte unterschiedliche Gründe. Erstens gab es hier hauptsächlich Arbeiter, die gewerkschaftlich organisiert und eher sozialdemokratisch eingestellt waren. Außerdem waren viele Menschen hier katholisch – ganz im Gegensatz zum protestantischen preußischen Staat.“

Deshalb versuchte der Staat, die Stadtwerdung Buers lange Zeit hinauszuzögern. Ein erster Antrag auf Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1907 wurde zunächst durch Hinhaltetaktiken verzögert und schließlich abgelehnt.

Erst ein erneutes Begehren der Stadtoberen führte im Frühjahr 1911 schließlich doch noch zum gewünschten Erfolg.