Buer. .
Die Metallklappe wird angehoben, ein kurzer Stoß, schon ist der Umschlag im Briefkasten verschwunden. Über 100 000 Mal wiederholt sich das täglich in unserer Stadt und alle Briefeschreiber vertrauen darauf, dass Liebeszeilen, Bestellungen, Mahnungen oder Formulare pünktlich am nächsten Tag den Empfänger erreichen. Was passiert aber nun mit einem Brief, wenn sich die Klappe des gelben Kastens endgültig geschlossen hat, welche Wege legt er zurück, durch wie viele Hände geht der Umschlag mit dem Postwertzeichen? Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und einen Brief auf seinem Weg von Buer in die Gelsenkirchener Altstadt verfolgt. Hier das Protokoll einer Reise zwischen der Königswiese und der Ahstraße.
16.54 Uhr: Briefkasten Königswiese
Ein weißer Lieferwagen rauscht heran. Jürgen Fischer öffnet mit einem Schlüssel den Briefkasten und leert den Inhalt des grauen Sackes, der im Briefkasten hängt, in einen gelben Plastikbehälter. Für den Fahrer eines „Post-Partners“ ist das die letzte Station seiner rund 1 ¼-stündigen Leerungs-Tour durch Buer.
17 Uhr: Sammelpunkt Königswiese
Auf der Rückseite des Postbankgebäudes ist der Eingang zum so genannten Konsolidierungspunkt, einer Sammelstelle, in der die Briefe aus allen buerschen Briefkästen ankommen - auch unser Testbrief. An der Rampe wartet schon ein großer Post-LKW, der die inzwischen auf Rollwagen gestapelten gelben Postbehälter aufnimmt. Noch hat keine Hand unseren Brief berührt.
17.30 Uhr: Abfahrt in die Nachbarstadt
Essen? Die Post unterhält bundesweit 82 Briefverteilzentren. Das für Gelsenkirchen zuständige Zentrum liegt in Essen-Vogelheim in der Nähe der B 224. Hier werden rund drei Millionen Sendungen täglich für die Weiterreise bearbeitet.
18 Uhr: Ankunft im Verteilzentrum Essen
Knapp 15 Kilometer vom Startort entfernt dockt der Post-LKW an Tor 6 des Briefverteilzentrums an, die Rollwagen werden in den „Wartebereich“ geschoben.
18.10 Uhr: Kollege Roboter übernimmt
Mit der Einfahrt in den Entlade-Roboter beginnt unser Brief die rund 700 Meter lange Reise durch die automatisierte Welt des Verteilzentrums.
18.12 Uhr: Auf der Kippe gelandet
Über eine Förderanlage wird der gelbe Kunststoffbehälter - 20 000 von ihnen kreisen ständig durch das Verteilzentrum - an der „Briefkippe“ entleert. Unser Brief landet im Arbeitsbereich der Sortierer, die die Sendungen nach Größe auf verschiedene Laufbänder einordnen. Erstmals wird die Sendung buchstäblich in die Hand genommen.
18.13 Uhr: Stempeln gehen
Der Standardbrief aus Buer erreicht die nächste Station. Freundliche Damen – sie lachen trotz der Millionen Sendungen, die sie noch erwarten – ordnen ihn mit maschineller Hilfe so ein, dass der nächste Automat ihn schlucken kann. In Sekundenschnelle wird die Echtheit der Marke geprüft und er bekommt einen Stempel aufgedrückt. Schließlich landet er wieder in einem postgelben Behälter.
18.30 Uhr: Auf den Code kommt es an
Nach einer langen Transportband-Reise ans andere Ende der Halle und einer kurzen Pause wartet die Codieranlage auf unseren Brief. Das rund 25 Meter lange Stück Spitzentechnik ist ein Multi-Talent. Rasend schnell über einen schmalen Schlitz „eingesaugt“ rast der Brief an einem Kameraauge vorbei, das die Empfängeradresse liest und auf Plausibilität prüft, das ganze in einen Strichcode übersetzt, der schließlich unten rechts auf den Umschlag gedruckt wird. Briefe, deren Ziel außerhalb des Postleitzahlbezirkes 45 liegt, werden von der Maschine schon für die entsprechenden Zustellbezirke, zum Beispiel Hamburg-Altona, vorsortiert. Unser Brief wird wieder in einen gelben Behälter mit dem Ziel Gelsenkirchen „ausgespuckt“.
18.35 Uhr: In der Warteschleife
Da alle Briefe, die den eigenen Postleitzahlbezirk 45 verlassen, bis spätestens 20.30 Uhr das Postverteilzentrum durchlaufen haben müssen, um noch am nächsten Tag das Ziel irgendwo in Deutschland zu erreichen, darf unser Nahbereichs-Brief erst einmal eine Pause einlegen, er wird zwischengelagert.
23 Uhr: In der GFSM
Der letzte Schritt der automatisierten Bearbeitung ist die Gangfolgesortiermaschine (GFSM), die die Briefe mit Standardmaßen so ordnet, dass sie der Zusteller einfach nur in seine Tasche legen muss.
6.30 Uhr: Abfahrt nach Gelsenkirchen
Holger Wein übernimmt mit seinem Transporter die sortierten Postsendungen und macht sich auf den Weg zum Zustellerstützpunkt Gelsenkirchen.
7 Uhr: Postbote, übernehmen Sie!
In der Poststelle an der Husemannstraße 1 übernimmt Zusteller Roland Seltmann die Behälter mit den rund 1500 Sendungen für seinen Bezirk. Briefe, die nicht dem Standardmaß entsprechen, müssen noch von Hand an einer Fächerwand in der „Gangfolge“ sortiert werden, bevor sie in seinem Zusteller-Handwagen landen.
8.30 Uhr: Der letzte
Weg zu Fuß
Postbote Seltmann, der ursprünglich als Bergmann unter Tage arbeitete und 1996 zur Post wechselte, macht sich auf seine rund zehn Kilometer lange Zustell-Tour.
10.30 Uhr : Am Ziel!
In der WAZ-Geschäftsstelle an der Ahstraße nimmt Marion Lübke unseren Brief entgegen und leitet ihn an die Redaktion weiter.
Der weiße Umschlag war insgesamt 17½ Stunden unterwegs, hat rund 27 Kilometer zurückgelegt und ging dabei nur durch drei menschliche Hände. Die ganze Reise kostete 55 Cent.