Gelsenkirchen-Scholven. 1800 Fremdarbeiter arbeiten am Revisionsstillstand der Scholvener Raffinerie. Es werden 200.000 Teile eingebaut – von Mutter bis Wärmetauscher.
Abgestellte Fahrräder reihen sich zu hunderten zu Füßen der gigantischen Olefin-Anlage. Im Fünf-Minuten-Takt - „Hallo Verkehrsverbund Rhein-Ruhr: Geht doch!“ - spucken Busse Arbeiter aus, in roten, blauen, weißen, orangenen Anzügen. Auf dem weißen Sicherheitshelm verrät der Sticker mit einer Fahne, welcher Nationalität der Träger angehört. „Zur Zeit haben wir 23 unterschiedliche Nationalitäten im Werk“, sagt Dr. Klaus Schindler, Leiter TAR Sicherheit. Von der Ukraine bis zur Türkei.
TAR steht für Turnaround, das wiederum bedeutet wörtlich übersetzt „Wende“. In der BP-Raffinerie ist damit ein Revisionsstillstand gemeint. „Alle fünf Jahre schreibt die Betriebssicherheitsverordnung die TÜV-Überprüfung vor“, berichtet Detlef Lücke, TAR Eventmanager. Allerdings zählt für Lücke nicht nur die gesetzliche Vorschrift. „Es liegt in unserem Interesse, zu sehen, in welchem Zustand die Anlagen sind. Wir wollen gesichert wissen, dass sie die nächsten fünf Jahre ohne Zwischenfälle durchhalten“, so Lücke. Und natürlich habe man immer die Anlageneffizienz und die daraus resultierende Umweltfreundlichkeit im Blick.
34 Monate Vorarbeit
TAR ist ein gigantisches Unterfangen und eine logistische Meisterleistung. 34 Monate vor dem Abfahren der Anlage beginnt für Detlef Lücke die Arbeit. Es gilt nicht nur, Ersatzteile zu beschaffen. „Wir gehen davon aus, dass wir bei diesem Stillstand etwa 200.000 neue Teile in die Olefin-Anlage einbauen“, sagt Klaus Schindler. Von der kleinen Mutter bis zum riesigen Wärmetauscher.
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Apropos Wärmetauscher: Einer hängt gerade am Haken eines Krans und soll nach Reinigung und Inspektion durch den TÜV- und BP-eigene Prüfer nun wieder seine Höhle im ersten Stock der Olefin-Anlage beziehen. „Das ist Millimeterarbeit“, erklärt Schindler. Zwei Arbeiter dirigieren den tonnenschweren Koloss an langen Seilen, neben dem Eingang zum Rohr sitzt ein Mitarbeiter und dirigiert den Wärmetauscher per Joystick Zentimeter für Zentimeter weiter. „Der darf sich nicht verkanten“, erläutert Schindler.
Prüfer bemerkt verrostete Rohre
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60 der etwa 280 Wärmetauscher in der Olefinanlage 3, in der Ethylen und Propylen für die Kunststofferzeugung aus Rohbenzin hergestellt werden, sollen während des Stillstands ausgetauscht werden. Schätzt Detlev Lücke. Aber vielleicht werden es auch ein paar mehr. Auf dem Waschplatz steht Christoph Buchholz, Mitarbeiter beim TÜV Nord, und inspiziert Wärmetauscher. „Dieser weist eine Muldenkorrision auf“, weist er mit dem Finger auf Vertiefungen in einem der etwa 800 mit einer Rostpatina überzogenen Rohren. „Ich weiß nicht, ob man den Wärmetauscher noch einmal einbauen sollte“, überlegt er.
Ein paar Meter weiter reihen sich Container aneinander, in denen zum Teil nur einige Zentimeter große Platten, Rohre und Böden lagern. Teile, die aus der riesigen Olefin-Anlage ausgebaut, mit einem kleinen Metallzettel dekoriert wurden, um so nach der Reinigung einem gigantischen Puzzle gleich wieder am Ursprungsort eingebaut zu werden. „Nur einmal ist ein kleines Teil verschwunden“, berichtet Thomas Pelster, Leiter des Produktionsareals Scholven Nord. Das habe eine große Wirkung gehabt. Allerdings habe man den Irrweg recherchieren können und das Teil unbeschädigt von einem Schrottplatz in Duisburg zurück nach Scholven bringen können.
Anlage wird komplett eingerüstet
Noch bis Mitte Oktober werden die 1800 Fremdarbeiter die Motoren und Pumpen checken, werden 800 Rohrleitungspunkte und 1600 Armaturen überprüfen. „Zusätzlich werden mehr als ein Dutzend Projekte umgesetzt, für die BP einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investiert“, berichtet Detlef Lücke. Am Ende werden Arbeiter 4500 Trennscheiben in die Rohrleitungen ein- und wieder ausgebaut haben, um die Olefinanlage vom Betrieb der Raffinerie zu trennen und wieder in Gang zu setzen. Und sie werden Kilometer an Rohren auf- und wieder abbauen. Schließlich muss die Anlage eingerüstet werden, um jeden Punkt, auch den Schornstein in 68 Metern Höhe erreichen zu können. Ein beeindruckender Anblick. Der Verpackungskünstler Christo, auch wenn er lieber mit Stoffen arbeitet, hätte seine helle Freude.
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