Gelsenkirchen. . Der Künstler Gunter Demnig verlegt in vier Stadtteilen zwölf Stolpersteine aus Messing, um an die Opfer der NS-Diktatur zu erinnern.
Stolpersteine nicht zu beseitigen, sondern ganz bewusst zu verlegen: Diese Tradition des Gedenkens an Opfer des NS-Regimes führt der Künstler Gunter Demnig am Mittwoch, 23. Mai, fort. In Zusammenarbeit mit dem Verein Gelsenzentrum setzt er zwölf mit Gravuren beschriftete Messingsteine in das Pflaster von Gehwegen ein, um Denkanstöße für den Alltag zu geben – und so an das Schicksal von Verfolgten und Getöteten zu erinnern: Lothar Keiner aus Horst, Ehepaar Otto und Paula Lieber aus Resse, Familie David Löwenstein aus Buer sowie Familie Siegfried Rosenbaum und Esther Lippers aus Bulmke-Hüllen.
Demnig platziert die Gedenktafeln wieder am letzten freiwillig gewählten Wohnort der NS-Opfer. Bei Lothar Keiner (1908-1942) ist dies die Kreuzung Kost-/Johannastraße in Horst. Der Montage-Arbeiter wurde wegen homosexueller Kontakte im April 1940 von der Kripo in Buer verhaftet und vom Landgericht Essen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
Homosexueller Lothar Keiner starb im KZ
Nach der Haft in Bochum und im Emsland kam er nicht frei, sondern wurde – ohne neues Gerichtsurteil – in so genannte „Vorbeugehaft“ genommen und im April 1942 ins KZ Neuengamme bei Hamburg deportiert, wo er im November starb – angeblich aufgrund eines „Versagens von Herz- und Kreislauf bei Magen- und Darmkatarrh“. Sein Gnadengesuch 1941 und der Versuch, nach Amerika ausreisen zu dürfen, wo seine Mutter und sein Bruder lebten, blieben ohne Erfolg. „Er muss die ganze Härte der Strafe erfahren, um von Rückfällen abgeschreckt zu werden“, so der Essener Oberstaatsanwalt 1941.
Recherchiert hat die Biografie der Psychologe Jürgen Wenke aus Bochum. Auf ihn geht auch die Initiative zurück, Keiner mit einem Stolper-Gedenkstein zu würdigen. „Fotos von Lothar Keiner sind uns leider nicht überliefert“, bedauert Stefan Goch, Leiter des Gelsenkirchener Instituts für Stadtgeschichte (ISG).
Die übrigen elf Stolpersteine erinnern an Juden. Kaufmann Otto Lieber, geboren 1883, und seine Frau Paula, geboren 1881, lebten zuletzt in ihrem Haus an der Ewaldstraße 29, wo sie auch ein Textil- und Kurzwarengeschäft betrieben. Von dort wurden sie vertrieben und im Dezember 1938 in ein so genannten „Judenhaus“ an der Von-Der-Recke-Straße umgesiedelt, nachdem ihre Wohnung im November zerstört worden war. In letzter Minute konnten sie im August 1939 nach England flüchten.
Frühere Soldaten hofften vergeblich auf Schonung
Auch David und Berta Löwenstein (1878-1950, 1877-1953) führten an der damaligen Essener Straße 12a (heute Horster Straße 17) in Buer ein florierendes Geschäft für Damen-, Herrenhüte und Krawatten, über dem sie wohnten. Sie wurden ebenfalls enteignet und aus ihrem Eigentum vertrieben. Nur auf Drängen ihres Sohnes Werner flüchteten sie 1941 über Lissabon in die USA. Wie der Resser Kaufmann Lieber hatte Löwenstein darauf vertraut, als Soldat im Ersten Weltkrieg unbehelligt zu bleiben – vergeblich.
Die vierköpfige Familie Rosenbaum wohnte am Heinrichplatz 1 in Bulmke-Hüllen. Nach dem Tod der schwer kranken Mutter Selma 1941 wurden der Vater Siegfried, ein Geschäftsführer (geboren 1896), und die zwei Kinder ins Warschauer Ghetto deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Selmas Mutter Esther Lippers starb 1943 im KZ Theresienstadt.