Buer. . Im Stadtnorden fielen von 2009 bis 2015 insgesamt 19,7 Hektar landwirtschaftliche Fläche weg. Nahrungsmittelproduktion wird schwierig
- Im Stadtnorden fielen von 2009 bis 2015 insgesamt 19,7 Hektar landwirtschaftliche Fläche weg
- Die Bewirtschaftung der weit entfernt liegenden Felder ist schwieriger, die Logistik eine neue Herausforderung
- Die Nahrungsmittelproduktion wird schwierig, sagen die Landwirte und fühlen sich an den Rand des Ruins gedrängt
Landwirt Hubertus Hölscher ist sauer. 6,5 Hektar landwirtschaftliche Fläche hatte er von der Stadt gepachtet. Auf dem Gebiet des buerschen Waldbogens. Doch als die Stadt das Land für „hochwertiges Wohnen auf der Wohlfühlinsel“ verkaufte, konnte sich Hölscher neue Äcker suchen. „Diese Politik“, so der durch Dumping-Preise geknechtete Vorsitzende des landwirtschaftlichen Lokalvereins Buer, „treibt uns an den Rand des Ruins“.
Flächenfraß nennen die Landwirte das Phänomen. Denn täglich werden landwirtschaftliche Flächen, die wichtigsten Produktionsgrundlagen für die Nahrungsmittelproduktion, versiegelt – um Straßen, Industriegebiete oder eben Wohnungen zu bauen. NRW-weit wurden im Jahr 2015 täglich 23 Hektar landwirtschaftliche Fläche zerstört.
40 Landwirtschaftliche Betriebe
Siedlungs- und Verkehrsflächen nahmen hingegen um 9,3 Hektar täglich zu, berichtet die Landwirtschaftskammer NRW. Gemessen an der durchschnittlichen Betriebsgröße sei in den letzten zehn Jahren jeden dritten Tag ein ganzer Bauernhof in NRW zubetoniert, zugebaut oder anderweitig genutzt worden. „Im Kreis Recklinghausen“, sagt Wolfgang König, Geschäftsführer des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, zu dem auch Gelsenkirchen gehört, „fallen täglich 2500 Quadratmeter für die Landwirtschaft weg“.
2010 gab es in Gelsenkirchen 42 landwirtschaftliche Betriebe, die zusammen 893 Hektar bewirtschaftet haben. 2015 waren es noch 40 Betriebe, mit insgesamt 1076 Hektar. Das entspricht einer Steigerung von 20,5 Prozent in sechs Jahren.
Stadtgebiet ist nicht gewachsen
„Da aber das Stadtgebiet nicht größer geworden ist und vermutlich auch kein neues Land kultiviert wurde, bleibt als Erklärung nur, dass der Zuwachs allein dadurch entstanden ist, dass Gelsenkirchener Landwirte ihre Betriebe durch Zupacht von Flächen außerhalb des Stadtgebietes vergrößert haben“, erläutert Bernhard Röb, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW.
„Klar“, sagt Hölscher. Zu seinen Äckern muss er heute zum Teil bis nach Dorsten fahren. „Die Bewirtschaftung ist schwieriger, die Logistik eine neue Herausforderung, um Leerfahrten zu verhindern.“ Dazu kämen unberechenbare Wetterkapriolen. Hölscher hat es erlebt, dass er bei Sonnenschein seinen Hof in Resse verlassen hat, und im Sturm in Dorsten ankam. „Da kann ich dann kein Gras mähen“, sagt er. „Dann habe ich eine Stunde Arbeitszeit verschenkt“.
Gewinn an Waldflächen
Bei der Stadt sieht man die Entwicklung nicht so dramatisch. „Für die Stadt Gelsenkirchen ist für den Zeitraum 2009 bis 2015 ein Flächenverbrauch von rund 19 Hektar zu verzeichnen. Der Bezirk Nord stellt sich mit einem Hektar nahezu ausgeglichen dar“: So lautet das Fazit des Referats Umwelt zum „Flächenverbrauch“. Allerdings fielen in dem Zeitraum stadtweit 44 Hektar landwirtschaftliche Flächen weg. Im Stadtnorden waren es 19,7 Hektar.
Der Verlust an landwirtschaftlichen Flächen werde durch den Gewinn an Waldflächen kompensiert. Denn im Zeitraum nahmen diese stadtweit um 25,1 Hektar zu. Im Stadtnorden liegen davon beachtliche 17,3 Hektar. „Das ist Augenwischerei“, schimpft Hölscher. Im Wald kann er keine Nahrungsmittel anbauen – weder für die Bevölkerung, noch für seine Tiere. Laut Landwirtschaftskammer stecken dahinter nicht nur Aufforstungen ehemals landwirtschaftlicher Flächen, sondern auch Ausgleichsmaßnahmen, bei denen als Ersatz für den Verlust von Natur durch Bauvorhaben Acker- und Grünland an anderer Stelle umgewandelt werden.