Gelsenkirchen. . Mit der Straßenbahn-Linie 301 vom Hauptbahnhof bis nach Horst: Von Menschen, einem freundlichen Lächeln, dem Schwatten und den Machern.
- Mit der Straßenbahn-Linie 301 geht es vom Hauptbahnhof vorbei an 34 Haltepunkten bis nach Horst
- Durchschnittlich transportiert die Tram auf der 17 Kilometer langen Strecke etwa 33 000 Fahrgäste am Tag
- Menschen, mit oder ohne einem freundlichen Lächeln, so manchem Schwatten und diverse Macher
Richtig voll geht anders. Morgens um 11 jedenfalls ist nach und vor der nächsten Stoßzeit. Kein Gedrängel und Geschubse, kein fremder Fuß an der eigenen Hacke, keine spitze Tasche im Kreuz. Keine Gefahr, die letzten Aktivitäten der Mitreisenden am Geruch erkennen zu müssen. Gemütlich tuckert die Linie 301 Richtung Buer.
„Hat dat Schwatte“, wie der Sitznachbar zur Rechten nuschelnd kommentiert, in Höhe der Zoom-Erlebniswelt wieder verlassen. Diesen Tunnel, der seit 1994 zwischen Musiktheater und Zoo befahren wird. Und Bismarck aus den Augenwinkeln verbannt.
„Heute mach’ ich ma auf Wellness“
Hinter dem Schwatten ist der Himmel blau über der Emscher an diesem Morgen. Ein freier Sitzplatz ist genauso garantiert wie der freie Blick auf die Mitreisenden. Die meisten haben eine seltsam vorn über gebeugte Haltung eingenommen, starren auf das Handy. Surfen oder reden.
Nicht mit dem Nachbarn, nein, mit Wesen am anderen Ende der Leitung. „Heut mach’ ich ma auf Wellness“, erzählt die dralle Blondine im Jogging-Anzug gerade ihrem Handy. In einer Lautstärke, der sich keiner in ihrer Umgebung entziehen kann. „Mach ‘ma ‘nen Kaffee, ich komm ‘ma eben rum, bevor ich duschen geh’“.
Kaum ein Blick für die Mitreisenden
Einen Blick auf die Mitreisenden, die Stadt, haben die wenigsten. Die meisten kennen die Strecke ja in- und auswendig, sind Wiederholungstäter. Wie Dana Jarosch, die durchschnittlich alle zwei Tage die Bahn besteigt und von Erle nach Buer zum Einkaufen fährt. Oder Elvira Beilstein. „Früher bin ich jeden Tag mit der 301 zur Arbeit gefahren“, berichtet die 66-Jährige. Heute nutzt sie die 301, um in die Stadt zu fahren. Wahlweise nach Alt-Gelsenkirchen oder Buer.
„Es ist spannend“, sagt sie. „Man kann wunderbar Menschen beobachten“. Und natürlich erinnert sie sich an ein männliches Wesen in knallenger Nietenjeans und einem Katzenfell um die Schultern. „Das passte überhaupt nicht zu seinem Alter, sah einfach kurios aus. Ich musste mich wirklich beherrschen, nicht laut loszulachen“.
Inzwischen passiert die 301 die Marktstraße in Erle. Plastiktüten mit Menschen dran drängeln sich in die Bahn. Kaum einer hat ein Lächeln für Ralf Pruß übrig. Seit 32 Jahren ist der 55-Jährige als Straßenbahnfahrer und „nicht neudeutsch als Fachkraft Fahrbetrieb“, wie er erläutert, in Diensten der Bogestra unterwegs.
Ein Lächeln erschreckt positiv
„Manchmal bin ich positiv erschrocken, wenn Leute hier lächelnd reinkommen“, erzählt er. Die Zeiten haben sich verändert. Je moderner die Wagen bis zum heutigen etwa 60 Meter langen Niederflur-Straßenbahn-Fahrzeugtyp Variobahn wurden, desto seltener werden Fahrer durchgehend auf angestammten Strecken eingesetzt.
„Heute fahre ich zwei Runden“, berichtet Pruß, dann geht es auf einer anderen Bahn weiter. Früher hat er Dauerdienst auf der 301 geschoben, da kannte er einen Großteil der Menschen, die sich morgens um fünf von ihm zur Arbeit chauffieren ließen. „Da hab’ ich auch schon mal ein Trinkgeld oder eine Tafel Schokolade bekommen“, erinnert er sich.
33 000 Fahrgäste pro Tag
Geblieben sind die Adrenalin-Faktoren: Schulschluss an der Gesamtschule und Schalke-Spiele. „Unsere Fahrer sind jeden Tag Lebensretter“, ergänzt Bogestra-Sprecher Christoph Kollmann. Schwierig seien Situationen, wenn „Autofahrer sich spontan entscheiden, trotz der vorbeifahrenden Bahn ihre Autotür aufzureißen. Und natürlich machten die Menschen mit dem „Knopf im Ohr und Handy in der Hand“ große Probleme.
Durchschnittlich transportiert die 301 etwa 33 000 Fahrgäste an einem Werktag. Auf der 17 Kilometer langen Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und der Essener Straße in Horst, passiert die Bahn 34 Haltestellen. Knapp eine Stunde dauert eine Tour in eine Richtung. Bis zu 15 Wagen hat die Bogestra täglich im Einsatz.
Einer, der an diesem Morgen die Fahrt genießt, ist Jürgen Schkodda. „Ich fahr jetzt zum Urlaub“, erzählt er grinsend. Der 60-Jährige nimmt am Programm „Urlaub in deiner Stadt“ teil und ist begeistert darüber, was ihm Gelsenkirchen in den nächsten beiden Tagen bieten wird – von der Stadtrundfahrt bis zur Besichtigung des Schalke-Museums. Über die Geschichte der Straßenbahn hat er sich auch kundig gemacht. Früher habe die Straßenbahngesellschaft über Generatoren eigenen Strom erzeugt und die Menschen an der Bahnstrecke mit Strom versorgt, berichtet er.
Sondertarife für Kindersärge
„Damals gab’s auch noch unzählige Sondertarife für den Transport sperriger Güter“, sagt Schkodda. „Da durfte man dann Kinderleichen zum Friedhof bringen“, löst er das Rätsel. Und erntet den Kommentar aus der hinteren Reihe: „Wat ‘en Glück, dat et heute nur Tarife für Fahrrad und Hund gibt.“
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