Gelsenkirchen-Horst. Als Arzt an einem Militärkrankenhaus erlebte Shadi Adra den Krieg hautnah mit. Irgendwann hielt er ihn nicht mehr aus.
- Der syrische Arzt wurde im Militärkrankenhaus in Damaskus mit dem Krieg konfrontiert
- Mit seiner Frau Maram und Tochter Amal floh er vor zwei Jahren aus der Heimat
- In Horst will Shadi Adra Deutsch lernen und irgendwann wieder als Chirurg arbeiten
„The Heimat is the best“. Shadi Adra lächelt bei dem Gedanken an Damaskus, an die Kindheit, die Jugend, die Studienzeit. Dann brach der Krieg aus. „Jede Stunde stirbt jemand. Es ist fürchterlich“, sagt der Chirurg. „In der nahen Zukunft sehe ich keine Hoffnung für Syrien.“
In der Heimat lebt der Damaszener seinen Traum. „Mein Vater starb früh. Seitdem hatte ich den Traum, Arzt zu werden.“ Das gelingt. „Es war ein gutes Leben. Wir hatten alles.“ Seinen Facharzt macht Shadi in einem Militärhospital, als gerade der Krieg ausbricht. „Es war schlimm, die vielen Menschen mit so schweren Verletzungen zu sehen.“ Dazu kommen die Konflikte: Hilft er jemandem von der einen Kriegspartei, wird er von der anderen argwöhnisch beäugt. Dabei will er nur Leben retten. Egal wessen.
Deutschland als Hoffnung auf ein neues Leben
Dennoch hat er Hoffnung. Er heiratet Maram Hassan. „Ich hatte eine optimistische Vorstellung von der Zukunft.“ Irgendwann aber geht es nicht mehr, hält Shadi die Situation nicht mehr aus. Immer wieder hat er andere von Europa sprechen hören. „Das war, als erzählten sie vom Paradies.“ Das will er sehen. „Aber ich hatte eigentlich an eine Urlaubsreise gedacht.“ Nun ist Deutschland die Hoffnung auf ein neues Leben.
Im September 2014 verlässt die kleine Familie mit Tochter Amal Damaskus. Ein harter Weg, der nur durch Schlepper möglich ist. Die nennt Shadi Adra heute die „Mafia“. Auch wenn die Familie jetzt augenscheinlich unbeschwert auf dem großen Sofa ihrer neuen Wohnung in Horst zusammen sitzt, bei dem Gedanken an die Flucht ist sie noch immer bedrückt.
Ankunft in Horst in diesem Sommer
„Wir waren erst in der Türkei“, erzählt Shadi. „Da wollte ich meine Ausbildung beenden und sobald es möglich ist, wieder nach Hause gehen.“ So einfach ist es aber nicht. „Wir hätten jeden Tag abgeschoben werden können, hatten keine Sicherheit“, erinnert sich Maram. Als die Familie 2015 weiter zieht, ist in der Türkei gerade die kleine Sella, die zweite Tochter, geboren. Wenige Tage später sitzen die vier in einem Schlauchboot gen Griechenland. Nach langer Reise kommen die vier im Oktober vergangenen Jahres in Deutschland und in diesem Sommer in Horst an.
Sofort nimmt Shadi die eigene Zukunft in die Hand. Als Arzt werde er sicher gebraucht, denkt er. „Also ging ich zum Jobcenter.“ Dort erklärt man ihm, erst müsse er die deutsche Sprache erlernen – und zwar weitaus besser, als für jeden anderen Beruf. Fachdeutsch gehört später auch dazu. Sowie eine Hospitanz und eine Anerkennung der bisherigen Ausbildung. Wieder so ein langer Weg, den der Syrer aber gehen will. „Es wird seine Zeit dauern. Aber ich hoffe, irgendwann in Deutschland als Arzt arbeiten zu können.“
„Die Hand, die einem hilft, die beißt man nicht“
Unbeirrt nimmt er seine Zukunft in die Hand. Trotz aller schwierigen Umstände, die seit einigen Tagen nur noch härter geworden sind. Der schlimme Terroranschlag lässt auch die kleine Familie nicht los. „Ich habe meine Heimat verlassen, weil ich in Frieden leben möchte. Was in Berlin geschehen ist, ist abscheulich.“
Shadi hält kurz inne. Dann sagt er: „Nach diesem Anschlag haben die Menschen hier das Recht, Angst zu haben. Vor Flüchtlingen im Allgemeinen und vor Muslimen im Speziellen. Wir selbst respektieren dieses Land und seine Bürger. Es hat uns aufgenommen, seine Türen für Flüchtlinge geöffnet. Die arabischen Länder haben das übrigens nicht getan.“ Dann erzählt er von einem syrischen Sprichwort, das bei allen kulturellen Unterschieden Gemeinsamkeiten deutlich macht: „In meiner Heimat sagt man: Die Hand, die einem hilft, die beißt man nicht.“