Seit genau 20 Jahren betreuen Erzieher in einer Wohngruppe an der Horst-Gladbecker-Straße misshandelte, vernachlässigte und missbrauchte Kinder und Jugendliche
Freitagmittag, kurz vor eins in einem Wohnhaus in Horst: Der Duft von gebrateten Fischstäbchen zieht von der Küche herüber ins Esszimmer, wo die Kinder gerade den Tisch fürs Mittagessen decken. Gleich wird man hier gemütlich beisammensitzen und von den Schulerlebnissen erzählen. Eigentlich der perfekte Familienalltag: Ein Ort, an dem man sich noch Zeit füreinander nimmt. Doch hier, im Haus an der Horst-Gladbecker-Straße, wohnen Kinder und Jugendliche, die zu Hause misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt worden sind, unter einem Dach.
Die Wohngruppe für Kinder und Jugendliche gibt ihnen Halt und Geborgenheit - das, was sie zu Hause nicht bekamen. In diesen Tagen feiert die Einrichtung ihr 20-jähriges Bestehen. "Wir sind im Oktober 1987 hier eingezogen", erinnert sich Elisabeth Gieseler (47), die Leiterin. Sie erzählt, wie alles begann: "Vor 20 Jahren ging der Trend dahin, die Kinder lieber in kleineren Gruppen im familiären Umfeld unterzubringen, statt sie in große Heime zu stecken."
So wurde ein großes, schönes Haus an der Horst-Gladbecker-Straße von Grund auf saniert und neu eingerichtet, um zunächst sechs Kindern und ihren Betreuern Platz zu bieten. Eine Gruppe Kinder wurde damals aus dem Propst-Wenker-Kinderheim ausgelagert und zog hier mit Elisabeth Gieseler und ihrer Familie ein.
"Die Räumlichkeiten sind für eine solche Wohngruppe ideal", schwärmt Gieseler noch heute, obwohl sie selbst hier nicht mehr wohnt. Auf vier Etagen und 300 Quadratmetern Wohnfläche hat jedes Kind sogar ein eigenes Zimmer. "Das Zusammenleben klappt ganz gut, die Kinder sind fast wie Geschwister, aber die eigenen Zimmer sind wichtig, damit sie sich auch einmal zurückziehen können", sagt die Einrichtungsleiterin.
Besonders, wenn ein neues Kind zur Gruppe stößt, wird das Alltagsleben manchmal auf den Kopf gestellt. "Die Kinder kommen ja alle aus sehr schwierigen Verhältnissen", sagt Gieseler und erzählt das Beispiel von Karl (Name und Details geändert), der von ein paar Jahren als Sechsjähriger in die Wohngruppe einzog: "Seine Familie war dem Jugendamt schon lange bekannt, die älteren Geschwister gingen unregelmäßig zur Schule und fielen durch ihr aggressives Verhalten auf. Karl hatte keinen Kindergarten besucht, die Eltern hatten ihn auch nicht bei einer Schule angemeldet." Öfter wurde der Junge spät am Abend auf der Straße aufgegriffen.
Als den Eltern gegen ihren Willen das Sorgerecht entzogen wurde, kam Karl in die Wohngruppe. "Er war äußerst aggressiv und hat immer wieder Möbel und Spielzeug zertrümmert. Und er hat die anderen Bewohner massiv gestört", erinnert sich Erzieherin Manuela Köller (35). Erst nach Wochen sei es gelungen, Karl zu beruhigen. "Die Kinder brauchen klare Regeln und einen klar durchstrukturierten Tagesablauf", sagt Köller. "Sie werden auch in die Hausarbeit eingebunden. Die meisten kennen das gar nicht, wenn sie hierher kommen."
Karl, inzwischen zehn, hat sich eingewöhnt. Er wird - wie viele andere hier - bis zu seiner Volljährigkeit im Haus wohnen bleiben. "Wir achten darauf, dass die Kinder weiterhin Kontakt zu ihrer Familie haben und sich auch außerhalb der Gruppe ein Kontaktnetzwerk aufbauen. Denn irgendwann müssen die Jugendlichen auf eigenen Beinen stehen", so Gieseler.