Straßenbahner Karl Vogt aus Erle weiß es ganz genau: Zwei Stunden und zehn Minuten dauerte eine Fahrt. Betriebshof im Rathaus. WAZ-Leser Hans-Dieter Heinisch fuhr als Lehrling immer von Erle bis nach Essen. Johannes Kläsener fotografierte die letzte 210.
Der Erler Karl Vogt ist ein „Straßenbahner” durch und durch: Von 1950 bis 1988 war er bei der Bogestra beschäftigt, viele Jahre als Schaffner und Straßenbahnfahrer, zuletzt in der Verwaltung. An viele Details kann sich der heute 80-Jährige, der auf der Linie 1, später 301, fuhr, noch ganz genau erinnern.
„Die 1 fuhr von Gelsenkirchen über Bismarck, Erle, Buer und Horst bis nach Essen-Bredeney, zwei Stunden und zehn Minuten dauerte die Fahrt”, so Vogt, „das war die längste Linie, 76 Haltestellen gab es.” Und die konnte der Erler alle auswendig: „Wir mussten die schließlich ausrufen.” Und als Schaffner auch Fahrkarten verkaufen. „Bis zur Alten Landstraße in Horst wurden Bochumer Fahrkarten verkauft, von dort an dann Essener Fahrscheine, da die Linie mit der Essener Verkehrsgesellschaft zusammen betrieben wurde.”
Zur Ergänzung gab es die Linie 21, die nur vom Hbf Gelsenkirchen bis zum Horster Stern fuhr. Die „2” verkehrte schon damals von Bochum über Gelsenkirchen bis nach Buer. „Und es gab eine Linie 3 der Bogestra von Horst über Heßler und Gelsenkirchen bis zur Bochumer Stadtgrenze.” Die wurde aber schon in den 50er Jahren auf Busbetrieb umgestellt.
Karl Vogt weiß noch lebhaft von den „Schüttelrutschen” zu berichten, den von der Bogestra Mitte der 50er Jahre selbst gebauten Straßenbahnwagen. „Die Selbstgestrickten machten reichlich Krach und rüttelten alle kräftig durch.”
111 Bogestra-Mitarbeiter hatten bis 1966 in Buer im Keller des Rathauses („direkt unterm Standesamt”) ihren Betriebshof. Von dort erfolgte der Einsatz. Ein Straßenbahndepot, das sich auf dem heutigen Polizeigelände an der Ecke Bredde-/Hölscherstraße befunden hatte, war schon Mitte der 20-er Jahre verlegt worden.
WAZ-Leser Hans-Dieter Heinisch kann sich auch noch lebhaft an die alte „1” erinnern: „Ich bin als Lehrling in der 50er Jahren jeden Tag nach Essen gefahren, eine Stunde dauerte die Fahrt von der Marktstraße in Erle bis zum Viehofer Platz.” Der Erler arbeitete bei Krupp. Manchmal sei er an der Alten Landstraße in Horst in die „27” umgestiegen, die bis vor die Krupp-Türen vor. „Und wenn ich Berufsschule hatte, musste ich mit der 1 bis nach Bredeney.” Schon als Kind habe er mit Freunden in Erle immer die Bahnen, die vom Forsthaus kamen, beobachtet und die Wagennummern erraten.
An den Tag, als die letzte „210”, früher „10”, von Buer nach Herten und weiter nach Recklinghausen fuhr, erinnert sich der Resser Johannes Kläsener ganz genau. „Ich bin an dem Abend ganz schnell mit meiner Kamera zur Ressestraße gelaufen und hab' die letzte Straßenbahn der Vestischen in Buer fotografiert.” Es war der 30. Juni 1981, es dämmerte schon leicht. Johannes Kläsener schoss das nebenstehende Foto, das er freundlicherweise der WAZ-Redaktion Buer zur Verfügung stellte.
Zu sehen ist die 210 auf dem eingeleisigen Stück der Ressestraße mit Blickrichtung Buer, im Hintergrund ist noch der Schacht Hugo-Ost zu sehen.
Es war ein stiller, ein leiser Abschied der Straßenbahn, ohne Brimborium. Keine Girlanden um die Bahn, keine besondere Gesellschaft an Bord, keine Musik. Es war auch die letzte Straßenbahn der Vestischen, die in Buer und Horst fuhr. Alle anderen Linien waren zuvor eingestellt worden.
Drei Jahre später fotografierte Kläsener auch die letzte Fahrt der Bogestra-Linie 302 durch die De-la-Chevallerie-Straße, die seit 1978, als die „10” der Vestischen nicht mehr nach Gladbeck fuhr, bis zum Bahnhof Buer-Nord fuhr.
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