Astrid Kaiser aus Horst hat die Gelsenkirchener Alzheimer-Gesellschaft gegründet. Über ihre sehr persönlichen Hintergründe berichtete sie im Gespräch mit der WAZ.
Abschied nehmen: Darin ist wohl niemand wirklich gut. Wie aber gelingt es, wenn wir für den anderen nicht mehr existieren? „Es ist schwierig, aber es gibt nicht nur rote, sondern auch grüne Tage, an denen es ganz gut läuft”, sagt Astrid Kaiser. Sie hatte zwei Jahre, um sich von ihrem an Alzheimer erkrankten Vater zu verabschieden. Zwei Jahre, in denen sie sich in Bücher über diese Krankheit geradezu verbiss, weil niemand sie fundiert darüber aufklärte. Heute ist die Horsterin selbst Anlaufstelle für Rat suchende Angehörige – als Vorsitzende der von ihr gegründeten Gelsenkirchener Alzheimer-Gesellschaft.
„Wir haben vor drei Jahren auf der Suche nach Informationen eine regelrechte Odyssee durchgemacht, nachdem mein Vater nach einem Schlaganfall an Demenz erkrankt war. Niemand hat uns gesagt, was auf uns zukommen würde”, erinnert sich die 39-Jährige an ihr Entsetzen, als ihr Vater nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus ein anderer Mensch wurde.
„Er vergaß die einfachsten Sachen, etwa dass man Suppe nicht mit der Gabel essen kann, oder dass es eine Toilette gibt. Er wurde so hilflos wie ein kleines Kind. Zuletzt wusste er nicht mal mehr, dass er eine Tochter hat”, erzählt die gelernte Fachangestellte für Rechtsanwalts- und Notarwesen, die mittlerweile in einem Versicherungsbüro arbeitet – und einen Großteil ihrer Freizeit in die Alzheimer-Gesellschaft investiert.
Sie weiß aus eigener Erfahrung: Mit Persönlichkeitsveränderungen können Lebenspartner und Kinder besonders schlecht umgehen. „Manche Kranke, die zuvor eher ein sanftes Gemüt hatten, beschimpfen ihre Verwandten plötzlich geradezu ordinär oder werden aggressiv. Aber das meinen sie nicht so, weil sie gar nicht mehr sie selbst sind”, erläutert Astrid Kaiser in Beratungsgesprächen und in der Selbsthilfegruppe immer wieder, die sich einmal monatlich trifft und „sehr gut besucht wird”.
Informationen über den Verlauf der Krankheit hätten ihr am besten geholfen, mit der Situation zurecht zu kommen, berichtet die Mutter einer zwölfjährigen Tochter. Und darauf setzt sie auch bei der Betreuung der Angehörigen. Dass die Kranken immer vergesslicher werden und oft nicht mehr wissen, wo sie sich befinden – sowohl zeitlich als auch räumlich; dass sie nicht selten Wahnvorstellungen haben; dass Alzheimer nicht heilbar ist: All das verschweigt Astrid Kaiser nicht. Sie ermutigt aber, sich trotzdem mit den Patienten zu beschäftigen, um ihnen in ihrer Orientierungslosigkeit Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln.
„Ich habe damals Fotoalben mit meinem Vater angeschaut oder ihn gebeten, alte Sprichwörter zu vervollständigen”, erzählt sie. Den Angehörigen selbst rät sie, sich eine Insel im Betreuungsalltag zu bewahren. „Ich habe vor zwei Jahren angefangen, Klavierunterricht zu nehmen. Solch ein Ventil brauchte ich, sonst wäre ich wahnsinnig geworden”.
Auch ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Vaters ist ihr dieses Hobby geblieben. Und die Alzheimer-Gesellschaft, der Besuch von Fachvorträgen und Weiterbildungsveranstaltungen inklusive. „Ich will nicht, dass andere genauso lange nach Informationen suchen müssen, wie wir damals”, sagt sie schlicht.
Vielen Dank für den Hinweis, Hubert, hier zwei Zusätze aus der gedruckten WAZ-Ausgabe:
Möglichkeiten, den Verlauf wirksam zu verzögern
„Aktuelles zur Alzheimer-Demenz” – unter diesem Titel steht das neue Patientenforum, das am Mittwoch, 13. Februar, um 19.30 Uhr im Veranstaltungsraum der Vereinigten IKK, Emscherstraße 44 a in Erle, stattfindet. Dr. med. Klaus Sallach, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, referiert über die unheilbare Erkrankung und beantwortet Fragen von Betroffenen und Angehörigen. Medizinisch betrachtet sei die Alzheimersche Demenz ein schleichender Abbauprozess, bei dem das Gehirn durch ein Massensterben der Nervenzellen kontinuierlich schrumpft, heißt es in der Einladung. Alzheimer-Demenz wird häufig erst spät diagnostiziert. In der Regel gehen die Betroffenen erst im vierten Jahr der Erkrankung zum Arzt. Wird die Krankheit früh, also in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren erkannt, gibt es Möglichkeiten den Krankheitsverlauf wirksam zu verzögern. Eine Heilung ist jedoch zur Zeit in keinem Stadium möglich. Eine Anmeldung unter 70 01 20 17 ist erwünscht. Die Teilnahme ist kostenlos.
Verständnis wecken
Die Alzheimer-Gesellschaft Gelsenkirchen/pro Derm zählt ein Jahr nach ihrer Gründung 50 Mitglieder – darunter das St.-Josef-Hospital Horst, das Elisabeth-Krankenhaus Erle, die Caritas und die Stadt Gelsenkirchen. Ziel des Vereins ist es, Verständnis und Hilfsbereitschaft für Kranke zu wecken, gesundheits- und sozialpolitische Inititativen anzuregen, Betroffene und deren Angehörige zu unterstützen sowie durch praktische Hilfen und emotionale Unterstützung zu entlasten. Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden 3. Mittwoch im Monat, 17 bis 18.30 Uhr, im Amalie-Sieveking-Haus an der Hans-Böckler-Allee 2 im Stadtsüden ( 94 11 540). Die nächste (öffentliche) Versammlung der Gesellschaft findet statt am Mittwoch, 13. Februar, 18 Uhr, im Cura-Seniorenzentrum, Leithestraße 63-65, in Ückendorf. Kontakt: Astrid Kaiser, 57 874.