Rolf Abrahamsohn erzählte im Hans-Schwier-Berufskolleg von sein Leben. Er hat mehrere KZ und das Ghetto in Riga erlebt.
„Das war so mein Leben”, sagt Rolf Abrahamsohn so gegen Ende der anderthalb Stunden im Mehrzweckraum des Hans-Schwier-Berufskollegs. Und sagt dazu: „War nicht so schön.” Dann lacht er kurz trocken auf.
Der 82-jährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Recklinghausen hat seinen Humor nicht verloren. So ein Lachen schützt. Es hilft dabei, ein Schicksal ohne Pathos, fast sachlich distanziert zu erzählen, das diese jungen Berufsschüler sich nur schwer vorstellen können. An manchen geht die Tatsache, dass Rolf Abrahamsohn mehrere Konzentrationslager erlebt und fast die ganze Familie durch den Nazi-Terror verloren hat, offensichtlich so vorbei, dass sie von Lehrern ermahnt werden müssen.
Vielleicht liegt es an der leidenschaftslosen Art, wie der gebürtige Marler „nur drei bis fünf Prozent von dem, was ich erlebt habe,” schildert, dass sich in den wenigen Fragen, die anschließend gestellt werden, nur wenig Betroffenheit äußert.
Man habe in der Klasse darüber diskutiert, sagt einer der Schüler, „ob den alles schlecht war, was Adolf Hitler gemacht hat”. Ein anderer fragt den ehemaligen KZ-Häftling, und man hört die Antwort heraus: „Finden Sie, dass sich die heutige Jugend noch damit beschäftigen sollte?” Später schiebt er nach: Warum denn immer gleich alle Deutsche mit den Untaten der Nazis identifiziert werden?
Rolf Abrahamsohn bleibt in solchen Situation erstaunlich gelassen. Er differenziert, erzählt von Deutschen, die ihr Leben riskierten, weil sie Juden halfen, plädiert für die Demokratie, gegen die Diktatur. Nur noch selten spricht er zu Jugendlichen. Das hatte er sich eigentlich zur wichtigsten Aufgabe gemacht: „Wenn ich nur einen jungen Menschen überzeugt habe, dann war das schon gut.”
Am Schluss bedanken sich die Schüler mit einem Kalender über Bäume und etwas Flüssigem, und Abrahamsohn revanchiert sich mit einer CD des Sängers Estromo Nachama bei Lehrer Berthold Hesselmann, der vorher von einem „historischen Ereignis” gesprochen hat. So oft könne man Zeugen dieser Zeit nicht hören.
Mit der Feststellung „Ein schlechter Friede ist besser als ein guter Krieg” eröffnet Abrahamsohn seine Ausführungen. Er beantwortet die selbstgestellte Frage „Was sind Juden?” mit einem kleinen Geschichtsexkurs: „Die Juden kamen 200 Jahre nach Christus mit den Römern nach Germania. Die Römer gingen wieder, die Juden blieben.” Viel Wissen hätten die Juden mitgebracht, Wissenschaftler, Juristen, Künstler, viele Nobelpreisträger seien aus ihren Reihen hervorgegangen.” Aber es habe auch „viele kleine Leute gegeben unter den Juden”. Abrahamsohn: „Die aber kannte man nicht, dafür aber die Berühmten. Deswegen glaubte man immer, die Juden seien reich.” Er sagt: „Es gibt kein jüdisches Volk, es gibt nur eine jüdische Religionsgemeinschaft.”
Von Juden, die im ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich kämpften und gefallen seien, erzählt Abrahamson. Erzählt vom Vater („ein Schlitzohr”), der von Stettin nach Marl zog, der nicht so religiös war wie die Mutter und deshalb auch Schweinefleisch aß. Er erzählt von den drei Brüdern, von denen zwei durch den Nazi-Terror starben, wie auch die Mutter und der Vater.
Rolf Abrahamsohn ging in Marl zur evangelischen Schule, die höhere Schule musste er nach fünf Monaten, 1935, verlassen, weil die Schule „judenrein” gemacht werden sollte. Da waren auch schon alle Juden aus dem Staatsdienst entlassen worden.
„Dann kam der 9. November 1938. Ich war 13.” Der Vater wurde „halb tot geschlagen und in sein brennendes Geschäft geworfen”. Die Stadt Marl zwang ihn später, das Wohn- und Geschäftshaus praktisch zu verschenken. „Wir mussten noch 9000 Mark draufzahlen, wegen der Brandschäden.” Der Bürgermeister damals, erinnert sich Abrahamsohn, war auch nach dem Krieg Bürgermeister „und hat sich da als besten Freund meines Vaters bezeichnet”. Hier, eine der wenigen Augenblicke dieser Art, wirkt Abrahamsohn bitter, fast sarkastisch.
„Wir mussten nach Recklinghausen umziehen. Marl war judenfrei.” Der 14-Jährige arbeitete in einer Schwefelfabrik, um sich und die Mutter zu ernähren. Der Vater war mit einem anderen Bruder nach Belgien geflüchtet. Beide wurden später nach Auschwitz transportiert.
Am 12., 13. Januar 1942 wurden die Recklinghäuser Juden gesammelt und zum Wildenbruchplatz nach Gelsenkirchen gebracht, dann in Personenzüge verladen, die zuerst nach Dortmund fuhren. „Acht Tage dauert die Fahrt bis Riga. Da war Gottseidank ein bisschen Eis auf dem Fenster, das wir auflecken konnten.” In Riga habe man zuvor etwa 12 000 lettische Juden erschossen, um Platz für die Juden aus Deutschland zu machen. Ältere wurden zu Tausenden im Wald umgebracht. 1943 wurde das Ghetto in Riga aufgelöst. Zuvor brachte die SS die Kinder „zum Impfen”. „Sie wurden alle umgebracht.”
Dann ging's mit dem Schiff nach Danzig und schließlich zurück in die Heimat: „Beim Bochumer Verein mussten wir Granathülsen drehen. Das war das schlimmste KZ.” Weitere Station war das KZ Buchenwald, dann sollte es weitergehen nach Dachau. Mehrfach erwähnt Rolf Abrahamsohn den Namen Hans Frankental. Der habe ihn zu einem anderen Waggon umgelotst, der nach Theresienstadt fuhr. „In Dachau haben sie die Waggons einfach auf dem Gleis vergessen. Alle Menschen drin sind gestorben.” Am 8. Mai 1945 wurde das KZ Theresienstadt von den Russen befreit.
Noch einmal wird Abrahamsohn sarkastisch, als er von der Rückkehr nach Recklinghausen erzählt. Eine Nachbarin habe ihm erzählt „Wir haben auch viel durchgemacht”. Damit habe sie die Wäsche gemeint, die ihr über Nacht von der Leine gestohlen wurde.
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