Nach wenigen Minuten hat fast jeder Anfänger das Prinzip verstanden und kann die Umgebung mit dem knapp 50 Kilogramm schweren Gefährt rollend erkunden: ökologisch korrekt, leise und ganz ohne Anstrengung

Lehnt man sich nach vorn, geht es los, streckt man den Hintern ein wenig hinaus, hat man automatisch den Rückwärtsgang eingelegt. Eigentlich ganz simpel. Hat das Großhirn diese Erkenntnisse erst einmal verarbeitet, wird alles gut. Und ziemlich genial.

Das ist dann auch der Moment, wenn Zeitgenossen, die sich noch ganz archaisch mit ihren eigenen Füßen fortbewegen müssen, etwas neidisch auf die kleine Gruppe schauen, die wie in einer Art römischem Kampfwagen extrem aufrecht stehend an ihnen vorbeirollt. Und es ist der Zeitpunkt, wenn die kleine Gruppe der „Aufrechten“ den ersten kurzen Blick nach rechts schweifen lässt.

Ein Lautsprecher an jedem Gefährt

„Die von Fritz Schupp und Martin Kremmer erbaute Schachtanlage 1/2 wird heute von der Wohnungsbaugesellschaft Vivawest als Firmenzentrale genutzt“, erläutert Tourenführer Carsten Westheide. Per Headset vermittelt er seine industriegeschichtlichen Vorträge an die Gruppe. Jeder Segway ist mit einem kleinen Lautsprecher ausgestattet. Seit 1998 organisiert der 49-Jährige mit seinem Team Touren und Events im In- und Ausland. „Den Schwerpunkt bilden mittlerweile unsere Programme im Ruhrgebiet. Wir veranstalten Entdeckungstouren auf den Spuren von Kohle und Stahl.“

An diesem Abend erkundet die Gruppe bei der zweistündigen Tour das riesige Gelände am Rhein-Herne-Kanal, auf dem früher die Zeche Nordstern stand und 1997 eine Bundesgartenschau stattfand. Entlang des Kanals und über die Emscherinsel geht es bis zur Essener Stadtgrenze und dann hinauf auf die Schurenbachhalde mit Richard Serras „Bramme für das Ruhrgebiet“. Inzwischen rollt es sich auch prima auf diesem „ersten zweirädrigen selbstbalancierenden elektrischen Fahrzeug mit patentierter dynamischer Stabilisierungstechnologie“, wie die Definition etwas sperrig lautet.

Minimalismus pur

Obwohl der erste Aufstieg richtig Überwindung gekostet hat. „Das ist kein Pony und wirft Sie nicht ab“, versucht Robert Herzog, dem Anfänger Mut zuzusprechen. Hat aber etwa den gleichen Erfolg, wie der einem entgegenstürmende Doberman beim morgendlichen Spaziergang, dessen Frauchen schreit: „Der tut nichts, der will nur spielen.“

Denn dieser kleine Schritt – maximal eine treppenhohe Stufe rauf – wird zum großen für den eigenen Gleichgewichtssinn. Alles wackelt. Das knapp 50 Kilogramm schwere Gefährt mit Elektromotor reagiert auf die Gewichtsverlagerung seines Fahrers. Ein eingebauter Chip, der 1000-mal pro Sekunde die Körperhaltung analysiert, sorgt für Stabilität. Für das Steuern nach rechts und links genügt es, den Lenker zur Seite zu neigen. Minimalismus pur: ganz ohne Pedale, keine Bremse. „Ich hab’ mir einen Kopf gemacht, wie ich das hinkriege“, strahlt Kerstin Raus nach ein paar Minuten und braust los.

„Viel zu schnell vorbei“

Der 2001 in den USA erfundene Segway (Anschaffungskosten etwa 9000 Euro) gilt zwischenzeitlich als Mobilitätsikone. „30 bis 35 Kilometer kann man mit einer Akkuladung überbrücken“, sagt Westheide. Ökologisch korrekt, leise und ganz ohne Anstrengung. Im Dezember 2009 kaufte der englischen Millionär Jimi Heselden den Amerikanern ihre Erfindung ab. Ironie des Schicksals: 2015 stürzte Jimi Heselden beim Test eines geländegängigen Prototypen von einer Klippe in einen Bach und starb. Seitdem gehört das Unternehmen der chinesischen Firma Ninebot.

Apropos Unfall: Das Risiko mit dem Segway zu verunglücken, ist gering. „Lediglich, wenn die Menschen zum Ende einer Tour übermütig werden, fallen sie manchmal von ihrem Scooter“, berichtet Carsten Westheide. Oder, wenn jemand unbedingt ergründen möchte, wie schnell sich das Teil auf der Stelle drehen lässt. Endet aber meist mit ein paar unspektakulären Schrammen.

Nach zwei Stunden erreicht der schnurrende Konvoi erneut den Nordsternpark. Stehen to go war eine wunderbare Entdeckung. „Wenn man das mal gemacht hat, will man sich nicht mehr anders fortbewegen“, schwärmt Julian Schmitz. Und Kerstin Raus fragt entsetzt: „Wie, schon vorbei?“ Die Zeit sei einfach viel zu schnell vorbeigerauscht. „Das hat richtig Spaß gemacht“.