Gelsenkirchen-Horst. Von Auschwitz wurde Rosa Pollak mit rund 2000 Frauen als Zwangsarbeiterin nach Gelsenkirchen-Horst gebracht. Unter menschenunwürdigen Bedingungen wúrde sie gezwungen, in der Waffenproduktion zu arbeiten. Der Arzt Dr. Rudolf Bertram versteckte sie zwei Monate in St. Josef und rettete sie somit.
Jetzt jährte sich die Befreiung der Menschen im Konzentrationslager Auschwitz zum 70. Mal. Ein Ort, an dem auch Rosa Pollak drei Monate ihres Lebens verbrachte. Im April 1944 wurde sie deportiert. Im Juli wurde sie, gemeinsam mit 2000 anderen Frauen, nach Gelsenkirchen-Horst gebracht, als Zwangsarbeiterin. Hier wurde sie ausgebeutet, musste in der Waffenproduktion arbeiten und somit die perfide Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches unterstützen. Am 11. September wurde das Werk bombardiert. Die große Schwester kam ums Leben, Rosa Pollak kam mit einer weiteren Schwester und der Mutter in das Krankenhaus St. Josef, wo sie auf Dr. Rudolf Bertram traf, der fortan versuchte, die Frauen zu schützen. An die Gräueltaten und auch an die Hoffnungsschimmer erinnerte am Dienstag eine Gedenkveranstaltung in der Kapelle des Krankenhauses.
Bertram wusste, dass die Frauen in seiner Obhut sicher sein könnten. Mal versteckte er sie im Keller, wenn nach ihnen gesucht wurde. Mal gipste er sie ein um sie krank erscheinen zu lassen. „Das war nur möglich, weil Ordensschwestern hier als Pflegerinnen tätig waren. Und die haben geschwiegen“, weiß Ortrud Kathol-Bertram, die Tochter des Arztes. Sie selbst war damals noch nicht geboren. „Mein Vater hat viel davon gesprochen – aber nur in der Familie. Andere wollten davon auch nichts wissen.
Bis Weihnachten 1944 in Sicherheit gewesen
Als ich als Schülerin stolz darauf war, sagten die anderen zu mir, wie, ihr hattet Kontakt zu Juden? Das geht ja gar nicht.“ Dennoch hielten die Familie Bertram und Rosa Pollak Kontakt, sahen sich sogar wieder. „Rosa hat sich später noch einmal von meinem Vater operieren lassen. Sie hatte noch Bombensplitter im Körper und zu keinem anderen Arzt vertrauen.“
Bis Weihnachten schaffte Rudolf Bertram es, Rosa Pollak zu schützen. Dann wurde sie abgeholt. Mit den anderen jungen Frauen wurde sie ins KZ-Außenlager Sömmerda verschleppt. Aber, da ist sie ganz sicher, durch die Zeit im Krankenhaus überlebte sie das Nazi-Regime, den Völkermord. Und doch, das erzählte sie am Dienstag, sie trägt ihn in sich. Nie hat sie das Grauen los gelassen. „Die Erinnerung ist immer präsent. Auch nachts. Ich träume oft davon“, berichtete Rosa Pollak, die die Schilderung ihres Schicksals am Dienstag ihrem Sohn Francois überließ, weil es sie emotional überforderte.
Mehrfach in Deutschland gewesen
„Es war viel schwieriger, als ich dachte“, war auch Francois Pollak bewegt. Eine „Obsession“ sei es, oft nach Auschwitz zu fahren, nicht zu vergessen. Und doch fuhr die Mutter, die gleich nach dem Krieg Deutschland verließ und nach Belgien ging, mit dem Sohn ab und zu nach Deutschland. Ein Tabu für viele andere Juden. „Viele meiner Freunde wollten noch nicht einmal deutsche Waren kaufen.“
Dann aber schaltete sich Rosa Pollak wieder ein. „Als ich 20 Jahre alt war, kaufte sie mir einen BMW. Und als meine Freunde das kritisierten, habe ich gesagt, wenn meine Mutter so handelt, wer bin ich, dass ich sie kritisiere. Und wenn sie nach Deutschland kommen kann, kann ich es auch.“ Rosa Pollak kam am Dienstag sogar gerne aus Antwerpen nach Gelsenkirchen. „Für mich ist es eine große Anstrengung“, lächelte die 87-Jährige. „Aber es ist sehr schön, dass ich das erleben kann, dass ich Rudolf Bertrams Grab besuchen konnte und den Abend mit diesen Menschen verbringen durfte.“