Essen. . Thomas Hörren ist Käferforscher. Aktuell beobachtet er Nachtfalter im Schlosspark Borbeck. Der Essener hat schon kleine Sensationen erlebt.
Thomas Hörren greift tief in den grünen Müllsack und zieht Tücher und Verbände heraus. Sie triefen und sind rotgetränkt. Der schwere Duft von Wein breitet sich aus, Hörren wirkt zufrieden. Es ist kurz nach 18.30 Uhr, Mitte März im Schlosspark Borbeck. Ein paar Jungs hängen im Skatepark ab, als der 28-Jährige beginnt, seine präparierten Lappen in die blattlosen Zweige einer Esche zu knoten. Hörren ist freiberuflicher Käferforscher und Masterstudent der Biologie, er bearbeitet wissenschaftlich Käfer in Europa als Tiergruppe.
An diesem Abend befasst er sich mit seinem Nebenprojekt, so nennt er das. Schon früh am Morgen hat er Rotwein mit Zucker und Mehl aufgekocht und die Stofffetzen hineingelegt. Der Geruch des Alkohols soll Nachtfalter aus der Umgebung anlocken, damit sie sich niederlassen und am Zucker laben. Die Reste seines Gemischs pinselt Hörren auf die Rinde anderer Bäume, durch das Mehl ist die Flüssigkeit dicklich. Dann heißt es warten. Auf die Dämmerung und die nachtaktiven Schmetterlinge. Zeit zum Reden.
Hörrens Herzensthema sind die Käfer. In Mülheim hat er mal den 0,7 Millimeter großen Zwergkäfer Ptinella populicola gefunden, dessen Existenz bis dato nur in den Niederlanden und Nordamerika wissenschaftlich nachgewiesen war. Eine kleine Sensation. Solche Überraschungen erwartet er auf seinen Weinködern an diesem Tag nicht. Überhaupt ist die Arbeit der Entomologen, der Insektenforscher, eher langwierig.
Über 75 Prozent weniger Fluginsekten
Im vergangenen Oktober ist eine Studie über das Insektensterbenherausgekommen, an der Hörren maßgeblich mitgewirkt hat: Der Entomologische Verein Krefeld hat zwischen 1989 und 2016 Insekten und ihre Daten gesammelt, archiviert und ausgewertet. Das Ergebnis: Über 75 Prozent weniger Fluginsekten.
Hörren bringt das so auf den Punkt, dass es auch ein Laie versteht: „Vor 20 Jahren, wenn wir in den Urlaub gefahren sind, hat mein Vater alle paar 100 Kilometer die Windschutzscheibe säubern müssen. Heute kann ich bis Italien durchfahren, ohne nennenswert Insekten auf dem Auto zu haben.“ Selbst wer sich nicht so sehr für sechsbeinige Tierchen begeistert, kann sich ausmalen, was das für die Artenvielfalt bedeutet. „Weniger Insekten heißt zuerst weniger Nahrung für Vögel, Spitzmäuse und Igel.“ Und danach geht es immer so weiter. Hörren nennt das Kaskadeneffekt.
Die Ergebnisse sorgten nicht nur bei Naturschützern für Besorgnis. Sogar eine Reporterin der New York Times reiste an den Niederrhein, um den Entomologischen Verein vorzustellen. Ein Trüppchen von Biologen, Chemikern, Lehrern und Naturinteressierten, die höchst professionell Daten über Insekten erfassen, die sonst niemand in Deutschland sammelt.
Ein frisch geschlüpfter Eulenfalter
So wie die Nachtfalter im Borbecker Schlosspark. Inzwischen ist es dunkel geworden . Hörren läuft die Bäume ab, auf dem zweiten Köder wird er fündig. „Die waren Sonntag noch nicht hier,“ stellt er fest. Mit seinem Smartphone macht er ein Foto, später wird er es auf der Internetplattform observation.org hochladen. Zur Familie der Eulenfalter gehört das Insekt und es ist gerade erst geschlüpft, das erkennt Hörren an den Flügeln. Wenig später entdeckt er eine zweite Nachteule. Es wird Frühling in Essen, die Flugzeiten der Insekten variieren.
Vor seinem Einsatz im Schlosspark Borbeck hat Hörren den Tag bereits mit Plankton verbracht: Im Rahmen seines Studiums an der Universität Duisburg-Essen war er an der Duisburger Sechs-Seen-Platte unterwegs. Das Kartieren der Nachtfalter ist für ihn ein Hobby. Warum einfach im Park spazieren, wenn er dabei ehrenamtlich wissenschaftlich arbeiten kann? Führte er seinen Versuch an einer anderen Stelle im Park oder in der Gruga durch – die gefundenen Arten wären andere. Faszinierend für den Mann, der sich seit Kindertagen für Insekten begeistert.
Ein dankbarer Abnehmer für Wein
Der Lehre von den Käfern hat eine lange Geschichte
Die Entomologie beschäftigt sich mit der Lehre der Insekten, die Koleopterologie mit einer Teilgruppe: den Käfern.
Bereits im Alten Ägypten wurden Käfer beobachtet. Die Koleopterologie geht aber auf Aristoteles zurück. Um 350 vor Christus schrieb er über blutlose Flugtiere mit hautigen Flügeln.
Während er auf einem dritten Köder eine Satellit-Wintereule ausmacht, räumt er mit Vorurteilen auf. Er springt nicht mit einem Kescher über Wiesen und hat auch keine präparierten Käfer an den Wänden seiner Frohnhauser Wohnung hängen. Eigentlich ein Hobby, das man prima auch mit Nicht-Biologen teilen kann, findet Hörren. Aber er weiß, dass nicht alle seine Vorstellung von Entspannung teilen. Es ist nicht nur dunkel, sondern auch kalt geworden, die Hände kleben vom Wein und mehr als drei Schmetterlinge kann Hörren an diesem Tag nicht eintragen.
Unterstützen können ihn seine Freunde aber trotzdem: „Wer Rotwein übrig hat, findet ihn mir einen dankbaren Abnehmer. Etwas Nachhaltigkeit schadet ja nicht.“