Essen-Rüttenscheid. .

Seife, die aussieht wie Kohle und Hirschgeweihe als Kleiderhaken: Das Geschäft „Wohngemeinschaft“ beweist, dass sich der Schritt in die Selbstständigkeit lohnt - wenn man mutig ist und gute Ideen hat.

Judith Haselroth vor der „Wohngemeinschaft“ in der Anna-Straße. Foto: Oliver Müller
Judith Haselroth vor der „Wohngemeinschaft“ in der Anna-Straße. Foto: Oliver Müller © WAZ FotoPool

„Mach’ was du willst, aber dich bloß nicht selbstständig!“ - heute ist Judith Haselroth froh, dass sie diesen gut gemeinten Ratschlag ihres Vaters nicht beherzigt hat. Die 37-Jährige hat auf der Anna-Straße mit der „Wohngemeinschaft“ ein Geschäft ins Leben gerufen, das wohl einzigartig in Essen ist. Eine Art Kolonialwarengeschäft der Neuzeit. Der Idealismus dahinter ist zweifelsohne der gleiche wie bei Tante Emma damals - die Produkte aber machen den Unterschied.

Ein Großteil des Sortiments stammt aus der Region oder aus Deutschland. Die Lieferanten sind bunt gemischt - angefangen von Hausfrau Netti aus Gladbeck, die in ihrer Freizeit Schmuck herstellt, bis hin zu Tina aus Iserlohn, die sich mit ihren „Labertaschen“, die man tatsächlich tragen kann, gerade einen Namen macht. Nachhaltigkeit - für Judith Haselroth ist das mehr als eine Floskel. Im Sortiment finden sich zum Beispiel auch Kleider-Haken im Geweih-Design. „Die herstellende Firma aus Süddeutschland arbeitet mit Behindertenwerkstätten zusammen. Ausgefallen und trotzdem nachhaltig, das ist mir wichtig“, sagt Judith Haselroth. Ähnlich extravagant sind die Arbeiten der Bochumerin Caroline Steuen. Unter dem Markennamen Else Walter, der Name ihrer verstorbenen Tante, näht sie unter anderem verspielte Taschen oder ausgefallene Gürtel, die sie als „Tortenband“ verkauft. Dabei sei es gar nicht so einfach, Produkte oder Designer aus der Region zu finden. Das Ruhrgebiet stecke bei dieser Entwicklung noch in den Kinderschuhen - aus denen es sich jedoch herauszuwachsen lohnt, findet Haselroth.

Bunt zusammengewürfelt - wie in einer WG eben

Kickerstange als Garderobe - vor allem Ausgefallenes findet in dem Ladenlokal Platz. Foto: Oliver Müller
Kickerstange als Garderobe - vor allem Ausgefallenes findet in dem Ladenlokal Platz. Foto: Oliver Müller © WAZ FotoPool

Der Name „Wohngemeinschaft“ ist ganz bewusst gewählt. Wie in einer WG auch, wird in dem Ladenlokal alles bunt zusammengewürfelt, was gefällt. Devotionalien aus dem Ruhrgebiet wird dabei besonders viel Platz eingeräumt. Neben Klassikern wie der Püttstück-Seife oder der stilisierten Zeche Zollverein finden sich dort auch Unikate - wie Fußmatten mit dem Aufdruck „Ruhrpottadel“. Dass ihr dieser Revier-Stolz einmal so wichtig sein würde, hätte Judith Haselroth früher nicht gedacht. „Als ich damals zum Studium nach Dortmund zog, wollte ich eigentlich so schnell wie möglich wieder weg. Dann habe ich das Ruhrgebiet aber relativ schnell lieben gelernt“, gesteht Haselroth, die aus dem Münsterland kommt.

„Ich wollte einfach einen schönen Raum voller schöner Dinge“, erklärt sie ihre Geschäftsidee. Vor zwei Jahren wurde die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau auf das leerstehende Geschäft, das früher zum Teil Möbel May beheimatete, aufmerksam. „Mensch, da muss man doch was draus machen“, sagte sie damals zu ihrem Freund. Etliche Nerven ärmer und einige Gänge zum Arbeitsamt später ging die „Wohngemeinschaft“ im April 2008 an den Start. Das Konzept wurde nur wenige Monate später von „Essens kreative Klasse“ ausgezeichnet. Zwei Jahre später beweist die Geschäftsfrau mit dem Näschen fürs Wesentliche, dass die Förderung zur Existenzgründung in Deutschland ihre Berechtigung hat. Ihr Erfolgsrezept für die Selbstständigkeit: „Man muss es einfach machen, am Ball bleiben und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Außerdem ist das Vertrauen zum Kunden wichtig.“