Essen. . Maßschneider Stefan Wermter führt den Betrieb in dritter Generation. Das Geschäft läuft gut, auch wenn die Berufsbezeichnung nicht mehr geschützt und ein talentierter Lehrling schwer zu finden sei, so der Bredeneyer Geschäftsmann.
Vor 80 Jahren machte sich Aloys Wermter in Ostpreußen als Schneidermeister selbstständig - und begründete damit eine echte Erfolgsgeschichte. Das Geschäft gibt es noch heute. „Wir sind meines Wissens die letzte inhabergeführte Maßschneiderei in Essen. Auch in NRW gibt es nur noch eine Hand voll vergleichbarer Betriebe“, sagt Stefan Wermter, der den Betrieb 2007 von seinem Vater Joachim übernahm, nun in dritter Generation als Schneidermeister führt und inklusive Aushilfen neun Mitarbeiter beschäftigt.
Nach sechs Jahren in polnischer Kriegsgefangenschaft baute Aloys Wermter das Geschäft in Essen neu auf. Weil ein Bruder hier lebte, fand die Familie hier Unterschlupf - und nähte erstmal im Wohnzimmer weiter, bis es zum ersten Ladenlokal an der Kruppallee reichte. In den 1970er Jahren wechselte man ins Bredeneyer Zentrum. Die Änderungsschneiderei wurde ausgebaut und später zur Maßschneiderei erweitert. Geändert wird auch heute noch, im eigentlichen Geschäft und nebenan in der Änderungsschneiderei „Kreuzstich“.
Selbstständigkeit hat viele angenehme Seiten
Der 45-Jährige erinnert sich an einen Kunden, der nur einen Knopf annähen lassen wollte. Während er darauf wartete, fand er seinen Traumstoff und bestellte einen Anzug für 1000 Euro. „Es ist gut, wenn die Leute die Stoffe anfassen. Ich selbst sehe auch mit den Händen“, sagt Wermter. Nach der Schule habe er keine rechte Berufsidee gehabt und sich schließlich entschlossen, die Familientradition fortzusetzen. „Ich hatte vorher noch keine Nadel in der Hand gehabt und habe erst durch meinen Rüttenscheider Lehrmeister die Freude an diesem Handwerk entdeckt. Mein Vater hat mich nie gezwungen, hier einzusteigen, aber vielleicht lag es mir ja doch irgendwie im Blut“, hat Wermter den Schritt nie bereut.
Die Selbstständigkeit habe viele angenehme Seiten, eine echte berufliche Talsohle habe es zum Glück nie gegeben. „Wir haben den Kundenstamm stetig steigern können. da läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda“, so Wermter. Wer mit Standardgrößen nicht klar komme, wähle oft diese Alternative. Immer mehr jüngere Menschen hätten eine „schwierige“ Figur, beobachtet Wermter. Häufige Ursache: zu viel Sport - oder eben gar keiner.
15 Azubis zur Prüfung geführt
Großvater Aloys verstarb 1989, Vater Joachim ist inzwischen 72 und hilft immer noch an zwei halben Tagen pro Woche und als Urlaubsvertretung im Geschäft. „Es gibt Kunden, die kommen immer, wenn mein Vater im Laden ist“, lacht Stefan Wermter.
Schon 15 Auszubildende hat er zur Prüfung geführt: „Da habe ich schon den Anspruch, dass sie mit einer Eins zumindest in der Praxis abschneiden.“ Bis auf eine Ausnahme habe das geklappt. 10 bis 15 Bewerbungen bekommt Wermter pro Jahr. „Es ist gar nicht einfach, den richtigen Bewerber herauszufinden. Wer die Schneiderlehre nur als Sprungbrett zum Modedesign nutzen will, ist bei mir falsch“, betont er und ärgert sich, dass immer wieder Lehrlinge einfach nicht erscheinen. „Sie könnten wenigstens absagen, damit andere eine Chance haben.“ Viel Geld mit wenig Arbeit verdienen zu wollen, sei im Handwerk der falsche Ansatz.
Viele Anfragen auch ohne Werbung
Da die Berufsbezeichnung nicht mehr geschützt sei, gebe es immer mehr Mitbewerber ohne entsprechende Qualifikation, beschreibt Wermter ein Problem der Branche. Doch er bleibt entspannt: „Da gehen die Kunden einmal hin und dann nie wieder“, erinnert er sich an schlecht sitzende Hochzeitsanzüge, die er kurzfristig retten musste. „Wenn dann alle auf der Hochzeit darüber reden, ist das doch die beste Werbung für mich.“
Seit Juli können in der Maßschneiderei Wermter auch Frauen ihre Hochzeits- und Abendkleider oder Business-Kleidung anfertigen lassen. Ohne große Werbung gebe es schon zahlreiche Anfragen. „Die Frauen haben offenbar darauf gewartet“, so Wermter.
600 bis 700 Anzüge pro Jahr fertigen Wermter und sein Team, In vier Wochen ist ein Anzug abholbereit. „90 Prozent fallen in die Kategorie Maßkonfektion, das heißt, wir nehmen die Maße des Kunden, wählen die Materialen aus und lassen von vier Zulieferbetrieben, mit denen wir seit langem zusammenarbeiten, fertigen“, so Wermter. Produziert werde aus Kostengründen teils im Ausland. „Wir achten darauf, dass die Sachen nicht aus Ländern kommen, in denen uns der Umgang mit Themen wie Lohn, Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und Umweltschutz nicht passt“, hofft Wermter, dass ihm die Firmen diesbezüglich die Wahrheit sagen. „Man reist natürlich nicht jedem Anzug hinterher.“ Ein Maßkonfektionsanzug koste ab 550 Euro, eine Vollmaßanfertigung, bei der alles per Hand von Wermter und seinen Mitarbeitern erledigt wird, gibt es ab 2500 Euro pro Anzug. Ob die Familientradition weitergeht, weiß Wermter nicht. „Meine Tochter ist 21 Monate alt und wird wohl Bergsteiger, so gern wie sie gerade klettert . . .“