Essen-Haarzopf/Essen-Holsterhausen. . Der Haarzopfer Werner Schmitz (89) erinnert sich, wie er seine Frau Sigrid Möllmann kennenlernte. Auch nach ihrem Tod im Jahr 1988 sind ihm ihre Erzählungen über das Abitur vor genau 70 Jahren in der Kinderlandverschickung in Böhmen noch sehr präsent.

Werner Schmitz hat alle Daten, Zahlen und Orte genau abgespeichert, erinnert sich an fast jedes Detail der 1940er Jahre, die er teils an der Front, teils in russischer Kriegsgefangenschaft verbrachte - und die für ihn trotzdem auch mit positiven Ereignissen verbunden sind. Lernte er doch damals seine inzwischen verstorbene Frau Sigrid kennen, mit der er vier Kinder bekam.

Der kommende Samstag ist für den 89-jährigen Haarzopfer ein besonders Datum: Am 15. Februar 1944, also vor genau 70 Jahren, legte Sigrid Möllmann, so ihr Mädchenname, Schülerin der Luisenschule, mit 17 ihr Abitur ab. Allerdings weit weg von ihrem Elternhaus an der Rembrandtstraße in Holsterhausen, in der Kinderlandverschickung in Bad Beching bei Tabor in Böhmen, heute Tschechische Republik.

1941 hatten sich Werner Schmitz und Sigrid Möllmann in der Tanzschule Thielemann kennengelernt. „Bis 1942 haben wir eine lockere Freundschaft gepflegt, sind gemeinsam ins Kino und in die Oper gegangen. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Auch andere Eltern hatten ja schöne Töchter und im Krieg sind sowieso andere Dinge wichtig“, sagt Werner Schmitz. Der Kontakt zur Tanzstunden-Freundin riss komplett ab, man schrieb sich auch keine Briefe.

Sigrid Möllmann machte ihr Abi in der Kinderlandverschickung - die Schulen in Essen waren ja wegen der massiven Bombardierungen geschlossen - und wurde anschließend zum Arbeitsdienst einberufen. Werner Schmitz hatte die Goetheschule, damals noch in Rüttenscheid, besucht, war im Mai 1943 eingezogen worden und im Frühjahr 1945 bei Königsberg in russische Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er erst im November 1948 zurückkehrte.

Schmitz, der eigentlich lieber studiert hätte, begann mit 24 Jahren eine Lehre bei der Ruhrkohle. „Eines Morgens im August stand ich der Haltestelle Rüttenscheider Stern und Sigrid hat mich aus der Bahn heraus dort gesehen“, erfuhr Schmitz später. Am nächsten Tag passte sie ihn ab, froh, dass er den Krieg überlebt hatte. „Das war nicht selbstverständlich. Etwa die Hälfte meiner Klassenkameraden ist gefallen“, so Schmitz.

Gefährliche Heimreise

Über einen Freund bei der Stadtverwaltung fand er die neue Adresse von Sigrids Eltern heraus - das Haus an der Rembrandtstraße war ausgebrannt. „Ich habe ihr geschrieben, aber drei Wochen keine Antwort erhalten.“ Für ihn war die Sache damit erledigt. Was Schmitz nicht wusste: Seine Auserwählte war für drei Wochen in Urlaub gefahren. Am Ende meldete sie sich doch und man traf sich im Café Reppekus in Rüttenscheid. „Ich hatte damals kaum Geld und habe gehofft, dass sie keinen Kuchen bestellt. Den hätte ich gar nicht zahlen können“, schmunzelt der 89-Jährige. „Zum Glück trank sie nur einen Kaffee.“

Weihnachten 1949 war man sich einig: „Wir bleiben zusammen.“ Drei Jahre später heirateten die beiden, bekamen zwei Mädchen und zwei Jungen. „Leider ist meine Frau 1988 mit 61 Jahren an Krebs gestorben“, sagt Schmitz.

Wenn der Haarzopfer in alten Unterlagen und Fotos kramt, denkt er an all die Geschichten, die seine Frau ihm über die Kinderlandverschickung und den späteren Arbeitsdienst erzählt hat. Wahrscheinlich teilen diese Erlebnisse noch etliche Menschen, denn von den damals etwa 1000 Luisenschülerinnen waren 230 wie seine Frau in Bad Beching untergebracht. „Die Mädchen wussten, dass sie zum Arbeitsdienst mussten, wollten aber vorher nach Hause. Also sind sie ausgerissen, haben sich über Wien bis nach Essen durchgeschlagen. Im Zug wurden sie von Soldaten im Gepäcknetz versteckt“, weiß Schmitz aus den Erzählungen.