Essen-Bergerhausen. Die Bergerhauserin Anna Abrams ist ausgebildete Artistin und hat sich auf das Vertikalseil spezialisiert. Schon als Kind liebte sie den Zirkus und machte nach dem Abitur ihre Leidenschaft zum Beruf. Der Liebe wegen zog sie von Hamburg nach Bergerhausen.
Wenn man sich mit Anna Abrams unterhält, weiß man nach wenigen Minuten: Diese Frau hat ihren Traumberuf gefunden. Und darin ist sie sehr erfolgreich. Dabei ist ihr Job eher ungewöhnlich: Die 30-Jährige arbeitet als Vertikalseil-Artistin. Die zierliche dunkelhaarige Frau, die in Hamburg geboren wurde und der Liebe wegen nach Bergerhausen zog, strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie von ihrem Werdegang erzählt. Dass ihr Beruf außergewöhnlich ist und bei ihren Mitmenschen die ein oder andere Frage aufwirft, ist sie gewohnt. Nein, sie stamme nicht aus einer Zirkusfamilie, und ja, besonders ihre Mutter habe ihren Berufswunsch anfangs skeptisch gesehen. Der Vater hingegen fand die Sache von Anfang an spannend.
Als ihre Eltern realisierten, dass ihre Begeisterung für den Zirkus kein Spleen war, dass sie ihre Berufung gefunden hat und glücklich ist, unterstützten sie sie und finanzierten ihre Ausbildung.
Und so arbeitet Anna Abrams seit Ende 2006 als selbstständige Künstlerin. „Ich war schon immer fasziniert von Artistik. Seit ich zehn war, habe ich auf mein Ziel hingearbeitet“, erinnert sie sich. Sie brachte sich selbst Jonglieren und Einradfahren bei, übte gemeinsam mit einer Freundin. Nach dem Abitur bewarb sie sich bei einer staatlichen Zirkusschule in London - und schaffte die zweitägige Aufnahmeprüfung, bei der Tanz, Theater, Akrobatik, Kraft und Dehnbarkeit bewertet wurden. Am zweiten Tag war ein Drei-Minuten-Solo-Stück gefordert. Alles klappte - und Anna Abrams hatten ihren Platz in der Zirkusschule sicher. „Ich hätte mich auch bei anderen Schulen beworben, war aber von der Einrichtung in London gleich begeistert, weil dort moderne, zeitgemäße Zirkuskunst mit künstlerischen Elementen gelehrt wird“, blickt die Bergerhauserin zurück, die gerade für drei Monate in Stuttgart engagiert ist.
Auf der Schule entdeckte sie die Liebe zum Vertikalseil, das bis heute ihr Ding ist. Auf der Bühne hängt es aus einer Höhe von sieben Metern herab - genug Raum für artistische Figuren aller Art. Zu Hause hat die Artistin eine deutlich kürzere Version angebracht, neben den Ringen ihres Freundes, der Sportlehrer und ebenfalls artistisch tätig ist. Dort kann Anna Abrams schon mal Kleinigkeiten ausprobieren, wenn auch keine ganze Übung durchturnen.
Das gedrehte Seil - die Künstlerin bringt zu jedem Auftritt ihr eigenes mit - ist aus Baumwolle und fühlt sich relativ weich an. Trotzdem könnte das Kostüm durch die ständige Reibung kaputt gehen, so dass die Bergerhauserin es in doppelter Ausführung besitzt.
„Ewig kann man nicht in diesem Job arbeiten“, weiß Anna Abrams. Bis 40 könne man das schon machen - wenn man auf sich achte und sich fit halte. Sie kenne sogar Artistinnen, die auch mit 50 noch auftreten. „Aber wer weiß. Vielleicht will man ja auch irgendwann Kinder haben“, lässt die 30-Jährige die Zukunft gelassen auf sich zukommen. Derzeit läuft es jedenfalls gut - und dafür hat sich das harte Training auf jeden Fall gelohnt, genau wie das Lampenfieber, das sie nach all den Jahren immer noch empfindet.
„Im Laufe der Zeit sammelt man einen kleinen Fundus an Kostümen zusammen, die man je nach Anlass und Raumgestaltung einsetzen kann“, erklärt die Vertikalseil-Artistin Anna Abrams. Nach der Ausbildung bewarb sie sich mit einem Video und verschiedenen Fotos bei Varietés, im Zirkus, bei Theaterproduktionen, Veranstaltern von Filmpremieren und Festivals, war aber auch einige Monate mit einem kleinen englischen Zirkus unterwegs, um Auftrittserfahrung zu sammeln.
„Der Schulabschluss interessiert eigentlich niemanden. Man muss die Leute persönlich oder per Video begeistern, um engagiert zu werden“, weiß die Bergerhauserin.
Die Künstlerin kann von der Artistik leben. „Was nicht heißt, dass es keine Durststrecken gibt“, sagt die 30-Jährige, die ihren Freund beim Auftritt im GOP-Theater kennenlernte. Derzeit arbeitet sie meist in Deutschland, im Prinzip sind aber Engagements weltweit möglich, zumal es ja keine Sprachbarrieren gibt. Auch wenn ihr fünfminütiges Soloprogramm soweit steht, trainiert sie, wenn sie nicht gerade irgendwo auftritt, viermal pro Woche im Bochumer Turnleistungszentrum. Vom Seil gefallen ist Anna Abrams übrigens noch nie: „Nein, das kann nur theoretisch passieren. Das wäre auch schlimm, ich bin ja im Gegensatz zu Trapezkünstlern nicht gesichert.“