Essen-Rüttenscheid. . Renate Abs feiert mit ihrer Boutique 40-Jähriges. Warum sie Rüttenscheid der Mode-Hauptstadt Düsseldorf vorzieht und mit Grauen an die Ära der Schulterpolster zurück denkt.
Wenn die Rüttenscheider Straße ihrem augenzwinkernden Ruf als „Kö des Ruhrgebiets“ irgendwo gerecht wird, dann wohl in dieser kleinen Boutique. Während ein adretter Kellner Kanapees und asiatische Tom Kha Gai auf einem Silbertablett an gut gekleideten Damen mit Prosecco in der Hand vorbei laviert, nimmt sich Renate Abs auf der kleinen Veranda eine kurze Verschnaufpause. Wie viele Hände sie heute schon geschüttelt hat, kann die 66-Jährige nicht mehr zählen. Seit 40 Jahren kleidet sie die besser betuchte Damenwelt mit Designerstücken aus Mailand, Paris, London ein. Erst am Montag kehrte sie mit Tochter Nadine aus der italienischen Modemetropole zurück, um die Frühjahrs-Kollektion für 2014 zu ordern.
Ihre Kundinnen kommen zum Großteil aus Essen und dem Ruhrgebiet, aber eben auch aus Düsseldorf. Ob sie die edlen Stoffe von Jil Sander und Co. im benachbarten Boutiquen-Mekka nicht besser an die Frau bekommen würde? „Auf keinen Fall“, sagt Abs, „Essen den Rücken zu kehren, steht nicht zur Debatte.“ Als sie 1973 ihren Laden in Rüttenscheid eröffnet habe, sei der Stadtteil bereits ein „In-Viertel“ gewesen, das junge Menschen und Künstler angelockt habe. „Als ich anfing, wollte ich einfach nur Schönes nach Essen bringen“, sagt Abs, die als 14-Jährige mit ihren Eltern aus Magdeburg in die Ruhrmetropole zog, nachdem ihr Vater enteignet worden war. In dessen Handwerksbetrieb verlor sie jedoch schnell die Lust auf Büroarbeit und fasste den Entschluss, ihr Hobby Mode zum Beruf zu machen.
Tochter Nadine organisiert Reisen und Messen
Neben dem Laden in Rüttenscheid eröffnete sie in den Achtzigern auch eine Boutique an der Lindenallee, später für zwei Jahre an der Akazienallee. 1992 dann fokussierte sie sich nur noch auf das Stammgeschäft in Rüttenscheid. „Es war nicht immer eine leichte Zeit in dieser Ära der Schulterpolster“, erinnert sich Abs mit leichtem Grausen in der Stimme, „das sah fürchterlich aus.“ „Ach, komm’ die haben wir doch alle gern getragen“, wirft Mitarbeiterin Monika Medrow ein, die bereits seit 30 Jahren an der Seite von Abs arbeitet.
Seit 15 Jahren ist auch Tochter Nadine (44) mit an Bord, die sich um die Planung der Reisen und Messen kümmert – und wohl die Einzige ist, die ihre Mutter am Wochenende auch mal in Jeans antrifft. „Mode ist eine Idee von Zeitgeist – Geschmack ändert sich im Laufe der Jahre. Am liebsten erinnere ich mich aber an die Hippie-Zeit zurück“, sagt Abs, deren Ikonen bis heute Karl Lagerfeld und Coco Chanel sind. Das Schöne an der heutigen Mode sei, dass alle Stile vergangener Jahrzehnte gemixt werden könnten. „Auch die Modewelt ist globaler geworden, starre Stil-Grenzen sind längst aufgeweicht“, so die 66-Jährige, die dennoch Prioritäten setzen kann – und privat nur einen einzigen Kleiderschrank besitzt.