Bredeney. . Ursula und Heinrich Röthig bauten ihr Häuschen An der Ziegelei in Eigenleistung. Heute erzählt es ein Stück Essener Nachkriegsgeschichte.

Nein, hier erinnern keine Jugendstil-Elemente an den Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die Decken sind niedrig, das Häuschen ist klein und urgemütlich: Das Lebenswerk von Ursula und Heinrich Röthig, das sie sich An der Ziegelei in Bredeney aufgebaut haben, erzählt ein Stück Nachkriegsgeschichte, wie sie wohl viele Essener nachempfinden können.

Die Eltern Röthigs waren die ersten Bewohner in der Siedlung, schon 1937 gehörte ihnen dort ein Stück Land. „Mein Vater baute hier Gemüse an und hat Karnickel gezüchtet. Wenn er auf Langenbrahm Feierabend hatte, kam er hierher“, erinnert sich Heinrich Röthig (76) an seinen Vater, einen Bergmann. Er selbst habe die geernteten Schätze mit einer Schubkarre häufig nach Rüttenscheid gebracht, um sie gegen andere Lebensmittel einzutauschen. Gerade einmal 48 Quadratmeter hatte das Haus, das Röthigs Vater schließlich für die Familie baute.

Nasse Füße im Keller

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„Nachdem wir 1958 geheiratet hatten, beschloss Heinrich, das Elternhaus abzureißen und selbst ein größeres zu bauen“, sagt Ursula Röthig. Es folgt eine abenteuerliche Zeit für die Familie – 1966 wohnt sie für die Zeit des Abrisses im Kellergeschoss: „Nach einem Platzregen standen wir kurz nach Ostern bis zu den Knöcheln im Wasser. Na, das fing wirklich gut an“, sagt Röthig und muss lachen. Doch ihr Mann, ein gelernter Maurer, lässt sich nicht entmutigen. Eine Woche vor Weihnachten sind zwei Räume und ein Bad im Erdgeschoss notdürftig fertig. „Wir haben alles nach und nach gemacht, das Geld war knapp“, sagt Ursula Röthig, die mit ihrer Gastfreundschaft schon damals manche Mark sparte. „Einem Baggerführer, der zufällig in der Nähe arbeitete, habe ich einen Eintopf gekocht, damit er den Graben um unser Haus herum ausschachtet“, sagt die 73-Jährige. Für ihren Traum von den eigenen vier Wänden legen sich die Röthigs krumm: So spart Heinrich Röthig, der für Esso als Tankwagenfahrer arbeitete, fünf Jahre lang seinen Urlaub auf, um Zeit für den Häuserbau zu haben. Um auch an Sonn- und Feiertagen arbeiten zu können, holt die Familie sogar eine Sondergenehmigung bei der Bezirksregierung ein. „Die Kirchgänger haben ganz schön kritisch geguckt, wenn sie hier vorbei gekommen sind“, weiß Heinrich Röthig noch.

Plackerei nie bereut

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Monate der Schufterei, bei der die ganze Familie mit anpackt, folgen. Ursula Röthig mischt den Beton selbst an, Stein für Stein rückt die Fertigstellung näher. Vier Jahre dauert es insgesamt, bis das Haus komplett errichtet ist. Der kleine Sohn bekommt sein erstes Kinderzimmer. „Das Glück war perfekt, als dann auch noch unsere Tochter unterwegs war“, erinnert sich Röthig. Bereut haben die beiden die jahrelange Plackerei nie, wie Ursula Röthig beteuert: „Wenn wir heute unsere Enkeltochter im Garten spielen sehen, ist das die schönste Belohnung.“

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