Stadtwald/Rellinghausen. . Wenn der pensionierte Hausarzt Manfred Bisping aus der Jugendstil-Villa von 1902 auszieht, macht er den Weg für den Abriss-Bagger und einen Neubau frei. Schon sein Vater und Großvater praktizierten dort.

„Die werden mir auch böse sein“, sagt Manfred Bisping wehmütig und deutet auf unzählige Schmetterlinge, die im Schatten einer alten Weide um einen blühenden Strauch flattern. Die Weide wurde zur Geburt Bis­pings im Jahr 1936 gepflanzt – und wird in Kürze wohl ebenso Geschichte sein wie die 400 Quadratmeter große Jugendstil-Villa, in der drei Ärztegenerationen praktizierten.

Seit Landarzt und Großvater Hubert Bisping hier 1902 eine der ersten Arztpraxen in Rellinghausen gründete, ist das Haus an der Frankenstraße in Familienbesitz. „Die Kinder sind aus dem Haus und für meine Frau und mich ist es hier jetzt schlichtweg zu groß“, begründet Bisping den Verkauf der stadtteilprägenden Immobilie mit dem angeschlossenen, großen Garten direkt an der Grenze zum Friedhof Rellinghausen. Die Holle-Architektengruppe aus Kettwig plant nun die Errichtung eines Ärzte- und Gesundheitshauses. Die Entwürfe, die ein kastenförmiges Gebäude aus viel Glas und Stahl zeigen, liegen auf einer alten Kommode im Jagdzimmer der Hauses. „Natürlich blutet mir das Herz, wenn ich das sehe. Ich bin in diesem Haus geboren, habe hier gearbeitet und gelebt. Es gab aber leider keine andere Möglichkeit“, sagt der 77-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau in den vergangenen Wochen alles für den Umzug in ein kleines Häuschen nach Schönebeck vorbereitet hat.

Luftschutzbunker im Keller

Orangefarbene Leuchten im 1970er-Jahre-Stil hängen noch im alten Behandlungsraum, selbst die Stühle im Wartezimmer stehen noch. Unzählige Umzugskisten stehen hier noch, dazu ein Sammelsurium aus Büchern und alten Einrichtungsgegenständen aus der Praxis. „Ich habe bereits einen Trödelmarkt veranstaltet, werde aber wohl noch mal im privaten Rahmen dazu einladen“, sagt Ehefrau Gisela Bisping, die vor ihrer Rente als Kinderärztin arbeitete. Doch mit den Praxisräumen nicht genug: Das Treppenhaus zum Wohnbereich zieren unzählige Geweihe und Jagd-Trophäen. „Ich habe in München studiert und liebe Bayern“, erklärt der passionierte Jäger, der sich im weitläufigen Garten in einer Laube seinen „eigenen Freistaat“ eingerichtet hat.

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Alte Öl-Gemälde im Dachgeschoss des Hauses zeugen bis heute von der Ärzte-Dynastie. Vater Hans, der als eines von zehn Kindern an der Frankenstraße zur Welt kam, übernahm die Praxis 1935 und war Mediziner mit Leib und Seele – war selbst zu Kriegszeiten auch in Gefangenschaft als Arzt tätig.

Der massive Bau an der Frankenstraße überstand die Fliegerbomben: „Die ganze Nachbarschaft rettete sich damals immer in den Luftschutzbunker, der bei uns im Keller untergebracht war“, erinnert sich Manfred Bisping. 1970 steigt er in die Praxis ein, obwohl er eigentlich als Chirurg hatte arbeiten wollen. „Ich sollte meinen Vater ursprünglich vertreten und blieb schließlich dabei“, sagt Bisping, der 2002 das Stethoskop an den Nagel gehangen hat. Im September wird die gesamte Familie – in der bis heute zahlreiche praktizierende Ärzte zu finden sind – ein letztes Mal an der Frankenstraße zusammenkommen, um Abschied zu nehmen. Am liebsten wäre Bisping ein junger Hausarzt als Nachfolger für die Immobilie gewesen, ein „Liebhaber alter Häuser, der bereit ist zu investieren“. Doch die sind wohl ebenso selten wie die eindrucksvolle Generationengeschichte Bispings.

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