Haarzopf. . Die Haarzopferin Anja Körber-Giovannelli sieht den Verlust von immer mehr Freiflächen mit Sorge. Sie kritisiert, dass Lebensqualität - auch die der folgenden Generationen - finanziellen Interessen geopfert werde. Den Vorwurf, die Stadt erteile zu viele Baugenehmigungen, lässt Planungsdezernent Hans-Jürgen Best nicht gelten. Die Stadt habe keine Möglichkeit, die Zahl der Wohnungen zu steuern. Zudem regele das der Markt. Solange es zahlungswillige Bürger gebe, werde gebaut - und der Platzbedarf der Menschen sei enorm gewachsen.

Anja Körber-Giovannelli (42) lebt seit 13 Jahren im Stubertal in Haarzopf - und sie tut es gern. Ihr Mann, gebürtiger Italiener, hatte familiäre Wurzeln im Stadtteil und so zog die Familie dorthin. Doch Anja Körber-Giovannelli macht sich Sorgen. „In Haarzopf, aber auch in der ganzen Stadt, wird immer mehr gebaut - trotz sinkender Einwohnerzahlen, trotz des oft zitierten demografischen Wandels“, ärgert sie sich. Immer neue Bauprojekte in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft an der Fulerumer Straße, die geplante Wohnbebauung von Thyssen-Krupp auf dem Feld an der Humboldtstraße hinter dem evangelischen Gemeindehaus, der geplante Abriss der katholischen Kirche St. Maria Königin am Neulengrund und die angedachte Vermarktung des Geländes - all das macht der zweifachen Mutter Sorgen. Wenn ihre Kinder - heute sieben und zehn Jahre alt - erwachsen seien, sei alles zubetoniert.

„Die Stadt findet kein Maß in Sachen Bebauung. Stadtteile wie Haarzopf, die landwirtschaftlich geprägt und noch immer relativ grün sind, werden so zerstört“, ist Anja Körber-Giovannelli, die früher in Stadtwald gelebt hat, überzeugt. Es gebe genug Leerstand. „Warum baut man immer wieder neue Flächen zu, statt den vorhandenen Bestand so herzurichten, dass dort auch wieder Menschen leben wollen. Dafür könnte die Stadt doch Anreize schaffen“, meint die Haarzopferin, selbst in der FDP politisch tätig. Wenn sich eine Renovierung nicht lohne, könne man auch Häuser abreißen und an der Stelle neu bauen, statt wieder Grünflächen zu opfern.

Die Haarzopferin engagiert sich in der Nachhaltigkeitsinitiative Transition-Town-Bewegung. Sie ist von Politik und Verwaltung enttäuscht, die ihrer Ansicht nach zu viele Bauvorhaben genehmigen. Frischluftschneisen und Grundwasserqualität müssten erhalten bleiben. „Lebensqualität ist sehr wichtig. Es ist doch traurig, dass zum Beispiel das Erdbeerfeld an der Humboldtstraße, auf dem die Kinder im Sommer viel Spaß haben, zugebaut werden soll“, sagt sie. Eine Auffassung, die sie übrigens mit dem Vorstand des Bürgervereins Haarzopf-Fulerum teilt. „Man kann doch nicht nur finanzielle Interessen in den Vordergrund stellen“, sagt Körber-Giovannelli und denkt dabei auch an den geplanten Abriss der Kirche St. Maria Königin am Neulengrund. Auch dort soll das Grundstück vermarktet werden. „Mit dem Kirchenabriss nimmt man den Menschen, die sich dort engagieren, ihre soziale Seele“, findet sie.

Anja Körber-Giovannelli will selbst für ihre Überzeugung aktiv werden, andere Bürgerinitiativen und Vereine mit ähnlichen Zielen an einen Tisch bekommen, vielleicht Unterschriften sammeln.

„Die Menschen sind unersättlich, wollen immer mehr Wohnfläche“, erwidert Planungsdezernent Hans-Jürgen Best auf die Vorwürfe von Anja Körber-Giovannelli. Heute liege die Nettowohnfläche in Essen bei etwa 40 Quadratmetern pro Person und damit ungefähr doppelt so hoch wie 1960. Allerdings gebe es in Essen große Unterschiede. Während man in Karnap auf 33 Quadratmetern lebe, seien es in Schuir knapp 70. Die Einwohnerzahl gehe in der Tat zurück. „Auf 7000 bis 7500 Sterbefälle kommen in Essen pro Jahr 4500 bis 5000 Geburten“, so Best. Der Bezirk III, zu dem Haarzopf gehört, sei von 1987 bis 2011 von 110 516 auf 94 653 Einwohner geschrumpft.

Wer in Essen keine geeignete Bleibe gefunden habe, sei oft ins Umland gezogen. „Doch wenn man die Leute fragt, wo sie leben möchten, werden meist dicht bebaute Metropolen wie Hamburg oder München genannt“, sagt Best.

Anreize zur Sanierung könne die Stadt nur in Ausnahmefällen bieten, wenn beispielsweise ein ganzer Stadtteil „unterzugehen“ drohe. Ansonsten sei das Privatwirtschaft. Der Großteil der rund 320 000 Wohnungen in Essen sei Privateigentum, nur ein Sechstel gehöre Wohnungsbaugesellschaften. Best: „Wir verwalten als Stadt ja Steuergelder, damit können wir keine privaten Sanierungen fördern.“

Nach deutschem Recht sei Bauen überall erlaubt, wo es nicht verboten sei. Es gebe keine Rechtsgrundlage, die Zahl der Wohnungen zu steuern. „Was der eine darf, darf der Nachbar auch. Art und Maß der Nutzung muss sich nur in die Umgebung einfügen.“ Gebe es zu wenig Wohnungen, steige der Preis - wie etwa in England. Derzeit würden in Essen rund 800 Wohnungen pro Jahr gebaut. „Nur wo genug Wohnungen geschaffen werden, bleibt die Einwohnerzahl konstant“, ist Best überzeugt. Solange es zahlungskräftige und zahlungswillige Bürger gebe, werde gebaut - wohl auch in Haarzopf.