Essen-Rellinghausen. . Die Bürgeschaft Rellinghausen veröffentlicht einen weiteren Geschichtsband von Valeska und Klaus Lindemann. Er beschäftigt sich mit dem Ortsteil zu Zeiten der Weimarer Republik. Damals war im Stadtwald ein Zoo geplant und Schulen rangen mit der Moderne.
Bis heute erinnert die breite Eisenbahnbrücke über der Trasse im Stadtwald an Pläne, die länger als ein Jahrhundert zurückliegen: Schon 1909 hatte Kommerzienrat Funke die Einrichtung eines Zoologischen Gartens gefordert, über die große Haltestelle sollten Besucher aus der gesamten Republik das Aushängeschild der Stadt bequem erreichen können. Zunächst durch den Ersten Weltkrieg verhindert, meldete schließlich 1919 der Tierschau- und Zirkusexperte Hagenbeck Interesse an dem Areal an. Die Weltwirtschaftskrise begrub das Vorhaben jedoch, am Ende entstand stattdessen eine renommierte Vogelwarte. Aus ökologischer Sicht war das bitter nötig - durch die von den Zechen verursachte Umweltverschmutzung starben viele Vögel und damit auch die natürlichen Feinde von Schädlingen.
Akribische Aufarbeitung
Es ist nur eine von unzähligen, interessanten Geschichten, die Klaus und Valeska Lindemann für den zweiten Band ihrer Reihe „Rellinghausen in der Weimarer Republik“ in Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft Rellinghausen-Stadtwald zusammengetragen haben. „Wir konnten endlich wieder richtig forschen. Das war wie zur Uni-Zeit“, sagt die pensioniere Geschichtslehrerin Valeska Lindemann, die an der B.M.V.-Schule unterrichtete. Diese Begeisterung ist auch ihrem Mann Klaus Lindemann anzumerken, der Geschichte am Gymnasium Borbeck unterrichtete. Nachlässe, Fotos, Zeitungsausschnitte und rund 150 Akten: Ob im umfangreichen Essener Stadtarchiv, dem Blücherturm, im erzbischöflichen Archiv in Köln oder dem Essener Bistumsarchiv: Die beiden Geschichtsexperten gingen akribisch vor, um ein möglichst lückenloses Bild Rellinghausens zu Zeiten der Weimarer Republik zu zeichnen.
Im Zweiten Band haben sie den Fokus dabei auf den Stadtwald, die Zechen, Schloss Schellenberg und die Schulen gelegt. Als Pädagogen erschütterte sie vor allem der letztere Themenkomplex. Alte Klassenfotos der Stiftsschule zeigen Jungen und Mädchen mit freudlosen Gesichtern, stramm in Reih und Glied fürs Gruppenfoto aufgestellt. „Von guter, alter Zeit zu sprechen, ist Unsinn. Vor allem die Schulen steckten in dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne“, weiß Valeska Lindemann. „Wir haben die Programme der Elternabende analysiert und gedacht, wir seien noch im Kaiserreich“, ergänzt Klaus Lindemann. Das Thema Halb- und Ganztag sei schon damals diskutiert worden. „Da die Eltern ihre Kinder aber für die Arbeit auf dem Feld brauchten, lehnten sie die Vollzeitschule ab“, sagt Klaus Lindemann.
Warum er nicht einfach seine Pension genießt und mit Geschichte abschließt? „Weil sie uns nie los gelassen hat“, sagt der 72-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau schon an den Folgebänden zu „Rellinghausen in der NS-Zeit“ forscht. Zudem wolle er das Interesse an lokaler Geschichte befriedigen, das vor allem bei Neubürgern groß sei, wie er beobachtet hat: „Vielleicht ist das eine Trendwende zur Globalisierung. Die Menschen wollen wissen, was in ihrem direkten Umfeld passiert ist und wo die Wurzeln liegen.“