Rüttenscheid/Steele. Wäre immer so viel Andrang gewesen – Hertie hätte vielleicht keine Insolvenz anmelden müssen. Obwohl auch das nicht sicher ist in Zeiten von Heuschrecken, die sich an Handelsketten vergreifen.

Seitdem das endgültige Schließungsdatum (Samstag, 8. August) bekannt ist, machen Kunden gnadenlose Schnäppchenjagd am Rüttenscheider Stern – auch gestern bildeten sich wieder meterlange Schlangen an den Kassen. Hertie Steele, Hansastraße, schließt vermutlich eine Woche später am 15. August – auch dort stehen die Kunden jetzt Schlange, und es wird so lange verkauft, bis nichts mehr da ist. In Steele endet damit eine lange Kaufhaustradition – erst war es „Epa”, dann „Kepa”, dann „Karstadt”, schließlich „Hertie”.

Die olivgrüne Damen-Bermuda, Größe 40, von 29,95 Euro auf 15,95 Euro reduziert – und darauf gibt's noch mal 70 Prozent Rabatt. Also: etwas mehr als fünf Euro kostet die Hose am Ende. Kein Wunder, dass die Kunden zugreifen. Mit vielen dicken Tüten in den Armen verlassen sie das Geschäft, draußen auf den Sitzbänken sitzen erschöpfte Gestalten, die ihre Kassenzettel durchgehen zur Kontrolle – die Bons sind lang wie Luftschlangen, so viel haben manche gekauft.

Eine historische Olympia-Dokumentation auf DVD – nur noch 7,95 Euro, minus 70 Prozent Rabatt, macht runde drei Euro. Hinten an den Wänden hing früher Kinderkleidung, „Kids/Boys Größe 140 bis 176” steht dort noch geschrieben. Die Regale sind längst leer.

Sämtliche Etagen von Hertie, das als „Karstadt” 1961 am Rüttenscheider Stern begann, sind mittlerweile geräumt. Nur das Erdgeschoss hat noch geöffnet. Die Ware wird von hinten nach vorne gepackt, was weg ist, ist weg. In der Schreibwaren-Ecke gibt es keine College-Blöcke mehr, Schulbuch-Schutzumschläge liegen wild verstreut auf dem Boden. Die wenigen Bücher, die man noch kaufen kann, sind umgekippt. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Die Kunden nehmen mit, was es noch gibt: Elektrozahnbürsten, Nähgarn, Tinte für den Drucker, Trockenblumen, Glühbirnen, Schultüten, Schulterpolster zum Einnähen. „Ware vom Umtausch ausgeschlossen!”, warnt ein rotes Schild.

Filialleiter Olaf Sichtig hetzt durch den Laden, das Handy am Ohr, ständig will jetzt jeder was von ihm, plötzlich stellt sich ihm ein Mann im Arbeiter-Overall in den Weg: von der Firma Saubermann sei er, oder wie auch immer, jedenfalls: „Ich soll hier eine Putzmaschine abholen.”

Hertie – was hier stattfindet, ist kein Ausverkauf, sondern ein Ausweiden. „Das Mobiliar bleibt aber bis zum Ende drin”, betont der Filialleiter. „Wenn wir geschlossen haben, finden 14 Tage lang Nach-Arbeiten statt.” Erst dann würde das Interieur ausgebaut und verkauft. Für Schnäppchen-Jäger seien nur die regulären Angebote zu haben.

30 Mitarbeiter hat die Filiale noch. „Wir alle müssen uns nach neuen Jobs umschauen”, sagt Sichtig. Sie persönlich auch? Der Mann lächelt müde. „Natürlich.”

Draußen steht Ingrid Warwell (73), auch sie hat rote Hertie-Tüten in der Hand: „Das ist 'ne Schande. Und ein komisches Gefühl, dass das hier zu Ende geht.” Sie selbst war 25 Jahre als Karstadt-Verkäuferin am Limbecker Platz beschäftigt. „Dass Rüttenscheid sein Kaufhaus verliert, darf eigentlich nicht sein. Jetzt muss ich für jeden Bindfaden in die Stadt fahren.”

Bereits im Februar waren die Hertie-Filialen Altenessen und Borbeck geschlossen worden.