Essen-Südviertel. . Seit 1982 nähen, kürzen und flicken Vassiliki und Geourgious Doitsidis in ihrem Änderungs-Atelier im Südviertel. Ihre Kunden kommen im Fünf-Minutentakt.
Es gibt Läden, die völlig unscheinbar und unspektakulär und trotzdem untrennbar mit einem Stadtteil verbunden sind: Das 50 Quadratmeter große, namenlose Änderungs-Atelier auf der Witteringstraße gehört dazu. Von der Wand lacht Essens „Schlagergott“ René Pascal in direkter Nachbarschaft zum heiligen Georg und einer zerknitterten Griechenlandkarte. Drei alte Pfaff-Nähmaschinen sind vor der Schaufensterscheibe postiert, darüber gebeugt sitzen Vassiliki und Georgious Doitsidis tagein, tagaus seit nunmehr 30 Jahren.
Beim Schneider-Ehepaar, das 1982 aus dem Norden Griechenlands nach Essen gekommen ist, hat sicherlich das gesamte Südviertel inzwischen Hosen kürzen, Reißverschlüsse wechseln oder Löcher stopfen lassen. Selbst samstags rattern die Maschinen, um die kurzfristigen Wünsche der Kunden zu erfüllen. „Handarbeit braucht Zeit, das geht nicht ratzfatz“, lacht Vassiliki Doitsidis. Zwölf bis dreizehn Stunden täglich näht, kürzt, flickt und ändert das Ehepaar nahezu alles, was die Leute ihnen im Fünf-Minutentakt bringen. Leder, Pelze, Autositze, Markisen,Taschen sogar Perücken werden unter den geschickten Händen der Schneider bearbeitet.
„Wir waren immer zusammen“
Reich geworden sind sie dabei nicht, „doch wir haben unser Auskommen“, sagt Georgious Doitsidis (62). Zwischen Knöpfen, Garnspulen, Stoffresten und Reißverschlüssen sind auch die beiden Kinder Chrisoula (32) und Paschales (31) aufgewachsen, haben im Hinterzimmer Mittagsschlaf gehalten, gespielt und ihre Hausaufgaben gemacht. „Wir waren immer zusammen, obwohl meine Eltern so viel gearbeitet haben“, sagt Paschales.
Auch die wenige Freizeit verbringt die Familie gemeinsam; einzig in die Heimat fahren Vassiliki und Geourgious getrennt, seit die Kinder groß sind. Mutter Vassiliki bekocht jeden Abend ihre Lieben: „Nur frische Sachen, nichts aus der Tiefkühltruhe“ gelangt auf ihren Tisch, „egal wann ich nach Hause komme“. Der Zusammenhalt scheint groß, Sohn und Tochter leben noch bei den Eltern. Entgegen der üblichen geschlechtsspezifischen Rollenverteilung wurde die Tochter Bauingenieurin und Sohn Paschales Schneider. Nach seinen Lehrjahren in einem Düsseldorfer Haute-Couture-Salon und einer Zusatzausbildung als Schnittdirectrice, arbeitet er seit einem Jahr im elterlichen Geschäft. „Als Kind wollte ich immer Polizist oder Feuerwehrmann werden, bis ich gesehen habe, wie mein Vater aus einem Stoffballen einen Anzug geschneidert hat.“
Das Handwerk, das bereits seine Großeltern ausübten, hat ihn seitdem fasziniert. Wenn es die Zeit zulässt schneidert er seine eigene Mode. Wann er das Änderungs-Atelier übernimmt, weiß er noch nicht: „Mein Vater kann ohne die Schneiderei nicht leben. Im Urlaub sehnt er sich nach spätestens fünf Tagen nach seiner Nähmaschine.“