Südviertel. . Ein Szenelokal kommt in die Jahre

Von der alternativ angehauchten Studentenkneipe zum familienfreundlichen Mehrgenerationentreff: Das treue Stammpublikum des Bahnhofs Süd ist mitgealtert – oder „gereift“, wie Thomas Draheim, Weinexperte und Wirt der ersten Stunde, formuliert. Kein Zweifel, die wilden Jahre sind auch dort vorbei.

Optisch hat sich kaum etwas verändert im Bahnhof Süd. Auch die Besucher sind teilweise dieselben, wenn auch nicht mehr in den Scharen, die damals durch die weitläufigen Räume um die Theke strömten. Doch auch wenn dort die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, die Welt draußen dreht sich weiter. Und die Konkurrenz schläft nicht – nicht mehr.

Vor 25 Jahren, als Draheim in den düsteren Räumen einer alten Bahnhofsspelunke seine Szenegastronomie schuf, schloss er im bis dato verschlafenen Essen eine Marktlücke. Nicht zuletzt als die „Schleifmühle“ im Stadtwald schloss, wanderten zahlreiche alternativ angehauchte Livemusik- und Partyliebhaber in das gemütliche Lokal im Südviertel. Denn viel mehr gab es nicht in Sachen Szenegastronomie.

Mit ebendieser hatte Draheim schon Erfahrung: Bereits in den 1970er Jahren betrieb er ein Szenelokal dort, wo man schon damals so etwas auch erwartete – in Berlin. „Aus verschiedensten, vor allem privaten, Gründen hat es einige von uns dann ins Ruhrgebiet vertrieben.“ Dort fiel Draheim gleich auf, dass Essen – obwohl Studentenstadt – über keinen „linken Treff“ verfügte. Etwas, was er zusammen mit zwei Freunden änderte: „Direkt in Uni-Nähe haben wir den ,Regenbogen’ eröffnet“, erinnert sich Draheim. „Der hat sich schnell als Zentrum für alles, was alternativ war, gemausert: von der Anti-AKW- bis zur Friedensbewegung, gemäßigt bis radikal.“

Kein zweiter „Regenbogen“

Nach einiger Zeit kam es zum Bruch zwischen dem Trio. Aber Draheim, der eigentlich Pädagogik studiert hatte, konnte sich kaum ein Leben jenseits des Zapfhahns mehr vorstellen. „Da bin ich auf die Immobilie am Südbahnhof gestoßen“, erzählt der 60-Jährige. So öffnete 1987 der neue „Bahnhof Süd“ die Pforten. „Das war ein aufregendes Jahr“, verrät Draheim, „nicht nur den Bahnhof Süd habe ich da aufgemacht, auch meine Frau und ich haben da geheiratet und unsere erste Tochter kam zur Welt.“

Von Anfang an habe Draheim vorgeschwebt, mit seiner neuen Gaststätte keinen zweiten „Regenbogen“ zu errichten, sagt er heute: „Ein Ort, wo tagsüber Familien frühstücken und abends Jung und Alt zusammen feiern“, sollte es sein. Die Familienfreundlichkeit unterstrich er auch damit, dass er in Sachen Nichtraucherschutz zum Essener Pionier wurde: Als eine der ersten Kneipen der Stadt bot er einen qualmfreien Raum an. „Da hatten wir schon eine Vorreiterrolle“, so Draheim.

Inzwischen sei der gesamte Bahnhof Süd dunstfrei. „Natürlich bleiben dadurch einige Stammgäste weg und auch die rauchenden Mitarbeiter sind sauer“, räumt der Gastwirt ein. „Aber dafür kommen auch gerade deswegen neue Gäste – und ich bin erstaunt gewesen, wie klar die Luft jetzt hier ist.“

Bekannt geworden ist der Bahnhof Süd ebenfalls für seine Konzerte: Musiker und Bands wie Helge Schneider, Popette Betancor, Wiglaf Droste und das Spardosen-Terzett oder Stefan Stoppok sind dort groß geworden.

Eine Berühmtheit war im Bahnhof Süd auch der Straßenmusiker Günni Semmler: Mit seinem Akkordeon und seiner knarzigen Stimme sorgte er in der Kneipe stets für gute Laune. Als Semmler im September 2004 verstarb, gab Stoppok wenige Tage später im Bahnhof Süd ein Benefizkonzert, um die Beerdigung des Essener Originals zu finanzieren. Damals war sie noch spürbar gewesen, die Einheit in der Szene. Und heute?

Auch – oder vielleicht gerade weil – sich wenig im Bahnhof Süd verändert hat, hat sich die Szene inzwischen in Rüttenscheid und ins Südviertel verlaufen, die Konkurrenz ist größer geworden. So ist das in Bahnhöfen: Wer nicht schnell genug ist, verpasst schon mal den Anschluss.