Rüttenscheid. . Eigenständig leben, sich gegenseitig unterstützen - so lässt sich das Konzept des Beginenhofs zusammenfassen. Ein Konzept, das funktioniert.

Margot Schroeder (73) ist Schriftstellerin und lebt in Essens erster Kommune nur für Frauen – im Beginenhof, dem ehemaligen Finanzamt Süd. Schroeder ist dort Initiatorin der Hofkultur, einem „Platz für Nischenkultur“ mit Lesungen und Musik. „Mit dieser Reihe sollen auch Künstlerinnen, die eigentlich viel bekannter sein müssten, ein Forum bekommen“, sagt Schroeder, die ihre Wohngemeinschaft mit 29 Frauen zwischen 25 und 85 Jahren sehr schätzt. „Ich kann hier meine Tür aber auch schließen, wenn ich arbeiten möchte.“ Und sie arbeitet viel. Gerade hat sie ihr 18. Werk „Testament der Augenblicke“ veröffentlicht – ein Prosa-Gedicht, in dem sie ihre Kriegserfahrungen in einem Zwiegespräch von Vergangenheit und Gegenwart reflektiert – in sehr dichter und emotionaler Sprache. „Schreiben ist mein Lebensinhalt, der Sinn meines Lebens“, sagt die gebürtige Hamburgerin, als sie über die langen, schmalen Flure der ehemaligen Finanzbehörde schlendert.

„Es ist so lebendig hier, wir helfen uns gegenseitig und natürlich bin ich als Schriftstellerin immer neugierig. Neugier ist auch eine Tugend“, sagt Schroeder, die sich schnell in Essen einlebte. „Ich mag den trockenen und schlagfertigen Humor der Essener.“ Und was hält sie von der Kulturszene? „Die Lichtverhältnisse im Museum Folkwang sind sehr beeindruckend“, sagt die ehemalige Dozentin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In der Landeshauptstadt wohnte sie, bis das Beginen-Projekt realisiert werden konnte. Aber das dauerte.

Erst war ein Beginenhof 1996 in Mülheim geplant, dann im Stadtteil Haarzopf. Immer wieder kam etwas dazwischen, fehlte entweder ein Investor oder eine passende Immobilie. Erst 2007 zogen die ersten Bewohner in Rüttenscheid ein. „Anfangs war das wie Camping-Urlaub. Es gab kein Wasser, keinen Balkon und das Lüften war nicht erlaubt. Daran hab’ ich mich aber nicht gehalten“, erinnert sich Schroeder.

Mittlerweile sei alles wunderbar, zieht Beginenhof-Mitbewohnerin Ute Hüfken, die über Jahre hinweg für das Projekt kämpfte, eine Zwischenbilanz: „Alle Wohnungen sind belegt, es gibt eine Warteliste.“ Allerdings gebe es immer wieder Wasserschäden im Keller.

Geringere Miete für alleinerziehende Mütter

Deshalb habe man sich schon mehrfach an den Investor, einen Architekten aus dem westfälischen Unna, wenden müssen. Auch ein neuer Pächter für das leerstehende Café neben dem Hebammenteam im Erdgeschoss wird gesucht.

Acht Wohneinheiten des ungewöhnlichen Projektes wurden mit einer Finanzspritze in Höhe von knapp einer Million Euro aus Landesmitteln (Städtebau-Förderungsprogramm) gefördert, über deren Einsatz die Stadt Essen bestimmen konnte. Mit dem Geld werden über Jahre hinweg Apartments subventioniert, in denen alleinerziehende Mütter mit niedrigen Einkommen leben. In der dritten Etage werden 14 Frauen von der Freien Alten- und Krankenpflege Essen gepflegt. „Aber die leben hier unabhängig von uns“, betont Schroeder. „Wir sind kein Altenheim.“ Was spätestens deutlich wird, wenn man in der Wohnung der 73-Jährigen steht und eines der neuesten Computer-Modelle auf dem Schreibtisch steht. Auf der Tastatur tippt die Lyrikerin Schroeder Manuskripte, die eine Tür weiter Mit-Begine Johanna Haake gegenliest. Die Gemeinschaft funktioniert.