Essen-Haarzopf/Fulerum. Grüne Warnwesten sind ihr Zeichen: Bürgerinitiative in Haarzopf fordert den Erhalt von Freiflächen statt neue Wohnbebauung. Resonanz ist groß.

Die Haarzopfer und Fulerumer kämpfen seit Jahrzehnten um den Erhalt ihrer Grünflächen. Aktuell stehen dort wieder Flächen für Wohnbebauung zur Diskussion. Dagegen wollen Bebauungsgegner am Sonntag, 3. November, mit einer großen Demonstration im Stadtteil protestieren.

Die vor wenigen Wochen gegründete Bürgerinitiative „Finger weg von Freiluftflächen in Haarzopf und Fulerum“ hatte erstmals die Bürger eingeladen, um ihnen den Aktionsplan gegen die Bebauungspläne der Stadt vorzustellen. Rund 350 Interessierte füllten die Kirche Christus König bis auf den letzten Platz.

„Wir müssen richtig laut und unangenehm werden, um gehört zu werden“

Jörn Benzinger, einer der Initiatoren der neuen Bürgerinitiative, die sich grüne Warnwesten als Erkennungszeichen ausgesucht hat, moderierte die Veranstaltung. Er stellte den Aktionsplan vor, die Bürger konnten sich gleich vor Ort für die verschiedenen Arbeitsgruppen eintragen. „Wir müssen richtig laut und unangenehm werden, damit unser Anliegen gehört wird“, erklärte Benzinger.

Um den Erhalt von Freiflächen im Landschaftsschutzgebiet wie dieser Fläche am Harscheidweg geht es Jörn Benzinger und seinen Mitstreitern.
Um den Erhalt von Freiflächen im Landschaftsschutzgebiet wie dieser Fläche am Harscheidweg geht es Jörn Benzinger und seinen Mitstreitern. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Viel Zeit bleibe nicht, da die vom städtischen Bürgerforum „Wo wollen wir wohnen“ priorisierten Flächen bereits am 7. November im Stadtplanungsausschuss diskutiert werden sollen. Deshalb will die Bürgerinitiative, die in den ersten zwei Wochen seit der Gründung bereits knapp 1500 Unterschriften gegen die Bebauung von Freiflächen im Stadtteil gesammelt hat, an allen kommenden Samstagen im Geschäftszentrum Neue Mitte Haarzopf und an weiteren Stellen Unterschriften sammeln.

Podiumsdiskussion mit Politikern ist geplant

Zudem sollen die Bürger ihren Protest gegen die Bebauung in E-Mails an die Politiker kundtun, sich zudem mit Bürgerinitiativen wie der aus Schönebeck vernetzen. „Wir würden auch gern eine Wanderung nach dem Vorbild der Schönebecker Initiative organisieren. Zudem ist für Sonntag, 27. Oktober, eine Podiumsdiskussion mit Politikern geplant“, so Jörn Benziger, der sich über den großen Zuspruch bei der Versammlung freute. „Da haben wir offenbar den Nerv getroffen.“ Höhepunkt der Aktivitäten soll die Groß-Demo am 3. November sein.

Schon in den vergangenen Jahrzehnten kämpften Bürger gegen die Bebauung

Die Verantwortlichen der Bürgerinitiative wollen Stadt und Politik mit Argumenten davon abbringen, Freiflächen in Haarzopf und Fulerum zu bebauen. Immer wieder gebe es Begehrlichkeiten, die Grünflächen, die den Charakter des Stadtteils ausmachten und für die Frischluft in ganz Essen wichtig seien, zu vermarkten. „Bereits in den 1970er, 1980er, 1990er Jahren sowie zuletzt 2015/16 haben die Bürger erfolgreich gegen solche Pläne gekämpft“, so Benzinger.

Teilnehmerin berichtet vom städtischen Workshop

Im Rahmen der Versammlung blickte Marion Bugla, Teilnehmerin des städtischen Workshops „Wo wollen wir wohnen“ auf die Veranstaltung Ende letzten Jahres zurück. Die Teilnehmer, die sich mit fremden Flächen beschäftigen mussten, hätten kaum Zeit für eine fundierte Entscheidung gehabt. „In meinen Augen war der Workshop eine Chance, die vertan wurde“, so Marion Bugla.

Uwe van Horn vom Naturschutzbund Ruhr (Nabu) betonte, dass an dem Workshop nur 0,7 Promille der Essener Bevölkerung beteiligt gewesen seien und man deshalb wohl kaum behaupten könne, „dass die Essener das so wollen“. Politik und Verwaltung hätten es jahrelang nicht hinbekommen, Flächen für Wohnbebauung zu priorisieren. Diese Aufgabe habe man jetzt „einfach unschuldigen Bürgern zugeschoben“. Er betonte, wie wichtig der Erhalt der Freiflächen und Landschaftsschutzgebiete auch im Sinne des Artenschutzes sei.

Um die Ziele der Bürgerinitiative mit Argumenten zu untermauern, referierte der freiberufliche Stadtplaner Michael Happe bei der Versammlung zu Bevölkerungsentwicklung und Wohnraumplanung – und kam dabei zu dem Schluss, dass statt der von der Stadt genannten 16.500 Wohnungen bis 2030 nur 2500 bis 3000 Wohnungen benötigt würden. Essen sei seiner Ansicht nach gar keine wachsende Stadt.

Baulücken schließen und Industriebrachen reaktivieren

Happe sprach sich für die Innenentwicklung der Stadtteile aus, forderte Baulücken zu schließen und Brachen zur reaktivieren, statt weitere Grünflächen zu versiegeln. Beim Abriss von Gebäuden und Neubau an gleicher Stelle müsse man keine weiteren Freiflächen antasten. In der Regel entstünde in solchen Fällen mehr Wohnraum. „Wenn zum Beispiel eine alte Villa in Bredeney, die wahrscheinlich nur von einer Familie bewohnt wurde, abgerissen wird, entsteht dort eine Stadtvilla mit acht Wohnungen“, so Happe.

Die oft angeführte Umwidmung von Wohnraum in Büroflächen finde eher umgekehrt statt, da Wohnraum wertvoller sei. Benötigt würden zudem eher preiswerte Wohnungen für Flüchtlinge, Einkommensschwache und Senioren. Diese Gruppen würden durch hochwertige Neubauten für die gehobene Mittelschicht in Stadtteilen wie Haarzopf aber gar nicht erreicht.

Stadtplaner vermisst aktuelle Erhebung zu Baulücken

Auch der sogenannte Sickereffekt – finanzkräftige Bürger ziehen in die Neubauten und machen dadurch ihre alten Wohnungen frei für weniger vermögende Menschen – sei nicht von großer Bedeutung. Laut Happe sei die Fläche, die jeder Essener statistisch bewohne, mit knapp 42 Quadratmetern 2012 am höchsten gewesen und inzwischen sogar wieder zurückgegangen.

Happe hält die Flächenpolitik der Stadt für falsch. Dass es nur 73 Baulücken in Essen gebe, in vergleichbaren Städten aber deutlich mehr, führt Happe darauf zurück, dass seit 2010 dazu keine Erhebung mehr gemacht worden sei. Es fehle ein aktueller Stand. Laut Happe gebe es genug Brachflächen in Essen, die teils schon Jahrzehnte ungenutzt seien. „Aber natürlich ist es teurer, Industriebrachen wieder aufzubereiten, als auf Freiflächen neu zu bauen“, so Happe.

Auch interessant