Essen-Rüttenscheid. . Die Wohnungsgesellschaft möchte an der Köndgenstraße vier Mietshäuser durch Neubauten ersetzen. Einige Mieter leben seit Jahrzehnten dort.

An der Köndgenstraße scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: nicht nur wegen der 1922 von den Architekten Borghoff und Hoell errichteten Wohnhäuser. Herzstück der Vivawest-Siedlung am Rande der Alfredstraße ist ein riesiger Garten, in dem sowohl Wildblumen, als auch Kräuter und Gemüse wachsen. Gemütliche Lauben, Grillzubehör und ein Trampolin zeugen noch immer vom Sommer. Bei schönem Wetter trifft man dort täglich einige ältere Damen bei der Gartenarbeit an; eine von ihnen wohnt seit 60 Jahren in einem der vier Mietshäuser.

Die nun bekannt gewordenen Pläne der Wohnungsgesellschaft Vivawest aber trüben diese Idylle: Fünf neue Häuser samt Tiefgaragen sollen ab 2017 auf rund 4600 Quadratmeter Fläche entstehen, die bestehenden Immobilien werden abgerissen. Eine Modernisierung der bestehenden Gebäude würde zu einem Mietniveau beinahe wie im Neubau führen. Ein barrierefreier Umbau sei gar nicht umzusetzen, begründet Carsten Jasper, Fachbereichsleiter Technische Grundstückentwicklung bei der Vivawest. „Außerdem haben Lärmschutzuntersuchungen gezeigt, wie groß die Auswirkungen der Alfredstraße sind. Über die Schließung baulicher Lücken ließe sich dieser Geräuschpegel reduzieren“, sagt Jasper.

Nachbarn fürchten Wertminderung

An der Köndgenstraße regte sich bereits Protest, als die Pläne nur gerüchteweise bekannt wurden. Dabei sind es nicht nur die Mieter in den aktuell noch 16 Wohnungen, die ihr Refugium zwischen Messe, Gruga und Rüttenscheider Straße gern erhalten würden. Auch direkte Nachbarn wie Frank Freislachen blicken den Plänen mit Unbehagen entgegen, weil sie eine Wertminderung ihrer Häuser fürchten.

Freislachen schaut aus seiner Wohnung an der Florastraße direkt in den großen Garten – eine Aussicht, die vor 30 Jahren mit entscheidend für den Kauf der Wohnung gewesen sei. Darüber hinaus hält der Architekt einen Neubau auch aus städtebaulichen Gründen für unsinnig: „Das Ensemble ist durchaus prägend für die Siedlung und in seiner Formensprache typisch für die damalige Zeit. Aus gestalterischer Sicht wäre es Mumpitz, diese Gebäude abzureißen.“ Gemeinsam mit weiteren Nachbarn und betroffenen Mietern hat sich Freislachen bereits in einer Facebook-Gruppe vernetzt.

Der Aussicht auf Erfolg des Protests ist allerdings gering. So ist für das Gebiet kein Bebauungsplan notwendig, auf den Bürger Einfluss nehmen können. Bei der Stadt ist eine Bauvoranfrage eingegangen, die bereits im Juli positiv beschieden wurde. Der Bauantrag soll im Januar gestellt werden. Der große Garten ist im jetzigen Flächenplan der Stadt ursprünglich als Gelände für Stellplätze vorgesehen – ihn zu bebauen, ist damit kein Problem.

Hilfestellung bei Suche nach neuer Wohnung und Übernahme der Umzugskosten

Den jetzigen Mietern wurden Gespräche angeboten und zum Teil auch schon geführt, in der vergangenen Woche wurden sie zudem in einem Schreiben informiert. Dabei würde ihnen zum einen Hilfe bei der Suche nach einer neuen Wohnung angeboten. Außerdem werde die Vivawest Umzugs- und wenn nötig auch Renovierungskosten übernehmen. „Wir wollen unsere Mieter so gut wie möglich unterstützen“, sagt Guido Möllenbeck, Leiter des Essener Vivawest-Kundencenters. Einen großen Garten und fußläufige Erreichbarkeit von Grugapark und Rüttenscheider Straße wird die Vivawest aber nicht garantieren können.

„Der Garten ist mein Heiligtum“, sagt eine 78-jährige Dame, die seit 30 Jahren mit ihrem Mann in einer der ehemals von Goldschmidt (Evonik) für Mitarbeiter vorgesehenen Wohnungen lebt. Gerne wäre sie hier noch länger alt geworden, sagt sie und ergänzt: „Ein Umzug wäre schon eine Belastung für uns.“

Miete wird in Neubauten verdoppelt

Grundsätzlich sei Rüttenscheid ein Gebiet, „in dem es sich immer gelohnt hat, etwas zu tun“, sagt Roger Hartung, Vivawest Bereichsleiter Quartiersentwicklung. Keineswegs betrachte man die geplanten rund 70 neuen Mietwohnungen als „überzogene Renditeobjekte“, sagt auch Carsten Jasper: „Das werden keine Luxuswohnungen. Allerdings entsprechen sie den heutigen Anforderungen, was beispielsweise die Barrierefreiheit und den Lärmschutz betrifft.“ Geplant sind fünf Häuser, davon auch eines auf einem noch in Privatbesitz befindlichen Grundstück an der Alfredstraße. Geplant ist eine dreigeschossige Bauweise; drei der Gebäude erhalten ein Satteldach. Die Vivawest investiert dreizehn Millionen Euro. Der heute in den Wohnungen übliche Preis von rund fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter wird im Neubau verdoppelt: etwa zehn Euro werden dann fällig.