Rüttenscheid. . Die Bürgerinitiative „Stolpersteine in Essen-Süd“ beleuchtet in einer Broschüre das Schicksal von 25 NS-Opfern aus der Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße.

Zwei Jahre intensiver Recherche liegen hinter der Bürgerinitiative „Stolpersteine in Essen-Süd“ (wir berichteten). „Ich gehe jetzt mit anderen Augen an den Adressen vorbei und habe das Gefühl, den Menschen, die dort gelebt haben, wirklich näher gekommen zu sein“, sagt Günter Hinken. Gemeinsam mit seinen Nachbarn Melanie Rudolph, Reinhard Völzke und Sabine Weiler hat der Historiker nun ein Heft heraus gebracht, das an die Geschichte der Juden in der Von-Einem- und Von-Seeckt-Straße erinnert.

Nach dem erfolglosen Rückbenennungsversuch in Irmgard- und Ortrudstraße im Januar 2013 sei die jetzt erschienene Broschüre nicht zuletzt ein „Befriedungsakt, um die Erinnerungskultur in den Straßen wach zu halten“, sagt Hinken. Seit zwei Wochen werden die Broschüren, die in einer Auflage von 1500 Stück gedruckt wurden, an die Anwohner verteilt. „Wir kommen über das Heft oft mit Nachbarn ins Gespräch, die sich für die Geschichte der Menschen interessieren“, freut sich Hinken.

Julie Risse wurde kurz vor Kriegsende ermordet

Eine von ihnen erzählt vom Schicksal Julie Risses. Einer Hausfrau und Mutter zweier Kinder, die an der Ortrudstraße 7 ein gutbürgerliches Leben führt. Bis der Zweite Weltkrieg über sie hereinbricht. Fliegerbomben zerstören das Haus, die Familie zieht an die Levering­straße nach Stadtwald um. Im Gegensatz zur Gestapo bleibt einer Nachbarin Julie Risses bis dato durch die Ehe verschleierte jüdische Identität nicht verborgen. Sie denunziert die damals 52-Jährige. Wenige Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen wird Julie Risse am 6. April 1945 bei einer Massen-Exekution im Dortmunder Rombergpark erschossen. „Findet das furchtbare Verbrechen der Gestapo in Hörde eigentlich keine Sühne?“, schreibt der verzweifelte Witwer Emil Risse 17 Monate später an die Oberstaatsanwaltschaft Dortmund.

Der in der Broschüre abgedruckte Brief lässt seine Leser auch 70 Jahre später ebenso hilflos wie seinen Verfasser zurück. Insgesamt 25 Schicksale aus den beiden Straßen hat die Bürgerinitiative akribisch aufgearbeitet. Sie zeigen auch, wie viele Familien zerstört wurden und wie sehr das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte bis heute nachwirkt. Zur Verlegung der Stolpersteine am Dienstag, 28. April, wird als Ehrengast Susanne Caspary mit ihrem Mann aus Brasilien erwartet. Sie ist die Tochter Grete Oppenheimers, die mit ihren Eltern Adolf und Paula an der Ortrudstraße 36 (heute Von-Einem-Straße) lebte. Adolf und Paula Oppenheimer wurden 1942 im Vernichtungslager Chełmno in Polen ermordet. Ihrer Tochter Grete gelang 1938 die Flucht nach Sao Paulo, wo sie 2010 verstarb. Günter Hinken: „Für Susanne Caspary, die ihre Großeltern nie kennenlernte, wird das eine sehr emotionale Reise. Wir sind unendlich dankbar, dass sie eingewilligt hat.“

Verlegung der Stolpersteine und Benefizkonzert

Die 25 Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus’ erinnern, werden am Dienstag, 28. April, verlegt. Beginn ist um 9 Uhr vor dem Haus an der Von-Einem-Straße 36. Neben Susanne Caspary wird dazu auch der Kölner Künstler Gunter Demnig erwartet, der das Projekt Stolpersteine initiiert hat. Mittlerweile erinnert das „Schwarmdenkmal“ in 500 Städten in Deutschlands an die oft vergessenen Menschen. Am gleichen Tag sollen auch in Steele 14 Stolpersteine verlegt werden.

Ebenfalls am 28. April beginnt um 20 Uhr ein Benefizkonzert mit dem Rüttenscheider Duo Sago im Gemeindesaal der Reformationskirche an der Julienstraße 39. Dort erwarten die Besucher Chanson, Rezitation und Schauspiel. Karten kosten 29 Euro (inklusive Fingerfood) und können reserviert werden unter 8060 8801 oder im Internet auf www.sago-kultour.de. Die Erlöse fließen in das Stolperstein-Projekt, das komplett ehrenamtlich getragen wird. Auf diesem Weg sollen weitere Spenden zusammenkommen, um die Kosten in Höhe von 8000 Euro zu stemmen. Neben Privatleuten hat auch die Bezirksvertretung II das Projekt bereits unterstützt.

Außerdem ist am Samstag, 2. Mai, für 15 Uhr eine Informationsveranstaltung im Chorforum geplant, die sich mit dem Thema Erinnerungskultur in Essen befasst. Als Referentin wird u.a. die Berliner Historikerin Dr. Petra T. Fritsche erwartet.