Essen-Ruhrhalbinsel. . Die Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel steht vor dem größten strukturellen Einschnitt ihrer Geschichte. Gläubige erarbeiten Zukunftsmodelle.

Die katholischen Gemeinden in Burgaltendorf, Heisingen, Kupferdreh und Überruhr stehen beim Pfarreientwicklungsprozess vor den größten Einschnitten ihrer Geschichte.

Rund 250 Besucher arbeiteten jetzt im Gymnasium Überruhr aktiv an der Zukunft der Gemeinschaften, die zur Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel zusammengefasst sind. Wer dabei war, konnte viel Aufbruchsstimmung erleben. Vor Ort sieht es oft anders aus.

Haushalt der Pfarrei um bis zu 50 Prozent entlasten

„Wir sind bei unserem Pfarreientwicklungsprozess an einer wichtigen Scharnierstelle angekommen. Bislang wurde vieles zusammengetragen – jetzt geht es bald in die Beurteilung, die uns weiter beschäftigen wird“, sagte Pfarrer Gereon Alter.

Neben dem höchsten Geistlichen der Großpfarrei sind dort noch drei Pastöre tätig. Im Dezember muss die Großpfarrei dem Bistum ein Konzept vorlegen, das den Haushalt der Pfarrei bis 2020 um 35 Prozent (300 000 Euro inkl. Rücklagenbildung) und bis ins Jahr 2030 gar um die Hälfte in Bezug auf 2015 (450 000 Euro) entlastet. Dem gegenüber stehen auf der Ruhrhalbinsel allein sechs Kirchen und sieben Gemeindeheime.

Viele Workshops abgehalten

Doch wovon sich trennen, ohne dass sich tiefe Gräben zwischen den Gemeinden auftun und viele Gläubige verloren gehen? Diese Frage wurde seit dem Start des Prozesses und der Gründung der Lenkungsgruppe im September 2015 bewusst ausgeklammert.

Wie stellt man sich die Gemeinde der Zukunft vor? Wie kann man junge Menschen für die Kirche gewinnen? Wie kann man alternative Gottesdienste, zum Teil auch ohne geweihten Pfarrer oder Pastor, feiern? Für welche Dienste benötigt man die alten Bauten und welche Aufgaben lassen sich anders lösen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigten sich in den vergangenen Monaten Gläubige in Workshops, die gemeindeübergreifend besetzt waren.

Welche Bauten bleiben stehen, was muss gehen?

Bevor aus den Ideen nun umsetzbare Ergebnisse werden und es ans Kürzen geht, soll bis spätestens im Frühherbst der Inhalt des pastoralen Konzeptes festgezurrt werden. Und wenn der Inhalt steht, kommt bis Herbst/Winter der schmerzhafte Teil: die Zusammenführung von Inhalt und Finanzen.

„Bei den Beteiligten ist die Stimmung gut“, kommentierte Maike Neu-Clausen, Projektassistentin in der Großpfarrei. Ganz viel Aufbruch gehe von den Ideen der Teilnehmer aus, viel Rückbesinnung auf Urwerte von Gemeinschaft und vor allem: Man versucht das deutliche „Weniger“ in vielen Beziehungen mitzudenken.

Konstruktiver und spannender Ideenaustausch

„Der Austausch war sehr konstruktiv und viel spannender, als ich persönlich es erwartet hätte“, berichtete Lisa Schimm von der Überruhrer Gemeinde St. Suitbert von ihrem Workshop „Einladende Kirche“. In ihrer Heimatgemeinde ist die Atmosphäre zwiespältiger: „Wir haben zwei Kirchen und im Grunde ist allen klar, dass wir nicht beide behalten werden. Das schafft Ängste“, sagt sie.

Gemeinden sind nicht immer einig

Auch Christian Sukora aus Kupferdreh hat im Stadtteil Ängste bemerkt. In Kupferdreh sei die Situation zudem kompliziert, weil es keine zentrale Kirche mehr gebe, sondern eine in Dilldorf und eine in Byfang. „Das sind zwei gestandene Gemeinschaften, die nicht immer einer Meinung sind“, erläuterte er.

Während er und Lisa Schimm ziemlich gefasst wirkten, was den möglichen Verlust von Einrichtungen betrifft, offenbarte Anne Gerbracht, Gemeinderatsvorsitzende in Herz Jesu, eigene Sorgen: „Ich wäre sehr betroffen.“ Auch ihrer Gemeinde stellen sich spezifische Aufgaben. „Bei uns geht die Konzentration derzeit auch in Richtung Jugend. Wir wollen mit früheren Gruppenleitern den Teil der Arbeit stark wiederbeleben.“

Pfarrzentrum könnte zum Bürgertreff werden

In St. Georg in Heisingen drehen sich derzeit viele Gedanken um das große Pfarrzentrum an der Heisinger Straße. „Das ist mittlerweile der größte Versammlungsort im Stadtteil und wird auch von vielen anderen genutzt.

Die Idee wäre, daraus ein Bürgerzentrum zu machen. Doch dazu muss es ordentlich bewirtschaftet werden – die Insellage Heisingens ist für diese Aufgabe ziemlich hinderlich“, sagt Monika Schrübbers, Vorstandsmitglied im Gemeinderat St. Georg.

Wie unterschiedlich die Situation in den vier Gemeinden der Ruhrhalbinsel auch sind, eint sie ein Wunsch: viele engagierte Menschen für den Pfarrentwicklungsprozess – und die Zeit danach.

>>> Nur jeder Zehnte geht zum Gottesdienst

Im Bistum Essen stecken die katholische Großpfarreien und ihre Gemeinden im Pfarreientwicklungsprozess. Nach den schmerzhaften Einschnitten und vielen Kirchenschließungen zwischen 2006 und 2008 war schnell klar, dass diese nicht reichen würden. Das Spannungsfeld von zum Teil immer noch üppiger Infrastruktur, sinkenden Gläubigenzahlen und erwartetem Priestermangel zwingt zum Handeln.

Auch die Entwicklung der Gemeinden der Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel leidet unter dem demographischen Prozess. Zählte man im Jahr 1995 noch knapp 30 000 Katholiken, waren es 2012 schon 6000 weniger.

Herbe Verluste bei der Zahl der Gläubigen

Die Schätzungen für 2030, den Zielpunkt des Prozesses, sind für viele Gemeindemitglieder erschreckend: rund 18 000 Gläubige sollen es sein – im Vergleich zu 1995 wären das knapp 40 Prozent weniger.

Noch trostloser sind die Zahlen der Gottesdienstbesucher. Kamen 1995 mit rund 4400 Menschen 15 Prozent der Mitglieder, war es 2012 nur noch die Hälfte von ihnen – gemessen an den Mitgliederzahlen waren das noch etwa zehn Prozent. 2030 werden es der Schätzung nach gerade einmal knapp 900 im Jahr sein. Im Vergleich zu 1995 hätte sich die Besucherzahl um rund 80 Prozent vermindert.