Essen-Rüttenscheid. Mit Rundlaufkarte in die Kneipe: Mit einer besonderen Aktion wollen die „Rü-Retter“ Gastronomen an Pfingstsamstag helfen. Dahinter stecken Gäste.

Der Stadtteil Rüttenscheid ist für seine Kneipenkultur bekannt und beliebt, doch Corona bedroht deren Zukunft. Wirte fürchten um die wirtschaftliche Existenz. Jetzt hat sich eine Initiative formiert, deren Name zugleich Programm ist: „Rü-Retter“ nennt sich die Gruppe, die für Samstag (30. Mai) zu einer ungewöhnlichen Unterstützungsaktion aufruft.

Verzehr bei der Aktion in Essen-Rüttenscheid im Abstand von 25 Metern zum Lokal

Ab 16 Uhr sind die Bürger zu einem Bummel über die Rü eingeladen, bei dem sie sich in Kneipen ihrer Wahl ein Getränk „to go“ bestellen sollen. Der Clou: Jeder Gast erhält, so wird die Aktion auch in den sozialen Netzwerken beworben, eine Art Rundlaufkarte mit den Signets aller teilnehmenden Lokale und bekommt von jeder Gaststätte, die er besucht, einen Stempel. Die Aufenthalte selbst fallen allerdings kurz aus, „denn der Gast soll nur ein oder mehrere Getränke bestellen und sie entgegennehmen“, erklärt Initiatorin Varinja Kunitzky. Der Verzehr finde dann im Abstand von 25 Metern zum Lokal statt, um die Auflagen zu erfüllen.

Appell an die Gäste: Hygieneregeln einhalten

Folgende Kneipen, Bars und Restaurants machen mit: Plan B, Ampütte, Gatz, Wirtshaus Rü, Fritzpatricks Irish Pub, Banditen wie wir, Menehune Cocktailbar, Früher oder Später, Gin & Jagger, Kokille, Rüttenscheider Hausbrauerei.

Die Veranstalter appellieren an die Gäste, sich an Hygiene- und Abstandsregeln zu halten.

An jedem der teilnehmenden Lokale wird mit Kreide der erforderliche Abstand von 25 Metern markiert sein.

Die Karten zum Abstempeln hat Katrin Borowy entworfen, die die Initiatorin Varinja Kunitzky unterstützt.

Mit Freunden und Bekannten hat sie lange gegrübelt, welche Form überhaupt für eine solche Aktion in Frage kommt, ohne Corona-Regeln zu verletzen. „Die Leute direkt in eine Gaststätte einladen, kam angesichts der begrenzten Kapazitäten überhaupt nicht betracht“. Die nun gefundene Lösung biete mehrere Pluspunkte: Die Wirte können ihren Umsatz steigern, die Besucher haben Zeit und Gelegenheit zu einem Plausch unter freiem Himmel, und schließlich „erhalten die Teilnehmer mit der abgestempelten Karte eine Erinnerung an Pfingstsamstag 2020“.

Die Idee zur Initiative entstand bei einem Besuch im Irish Pub

Auf die Idee brachte die 34-Jährige ein Besuch mit Freunden im Irish Pub von Lorna Murray. Habe man sonst hier „kein Bein an die Erde bekommen, waren an dem Abend aus verständlichen Gründen nur wenige Tische besetzt“, erzählt die Haarzopferin. Da sei ihr schlagartig klar geworden, dass nicht nur der Pub, sondern die gesamte Gastronomie auf der Rü kaum eine Überlebenschance habe, sollte es bei so geringen Besucherzahlen bleiben.

Organisatorin Varinja Kunitzky hatte beim Pub-Besuch die Idee, den örtlichen Wirten zu helfen.
Organisatorin Varinja Kunitzky hatte beim Pub-Besuch die Idee, den örtlichen Wirten zu helfen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Inhaberin Lorna Murray freut sich, dass nun die Rü-Retter den Wirten helfen wollen und damit steht sie längst nicht allein. Als Varinja Kunitzky mit Christian Krause (Früher oder später) telefonierte, war sofort begeistert. „Ich finde es einfach toll, dass aus der Kundschaft heraus ein solcher Aufruf gestartet wird“.

Was für ihn Corona-Auflagen bedeuten, hat er einmal mehr live am vergangenen Wochenende erlebt. Ein Klassiker Dortmund-Schalke lockt eigentlich über 100 Leute an. Ist es also ansonsten rappelvoll, „waren es dieses Mal gerade mal 13 Gäste“. Wenn Krause über die nächsten Wochen spricht, dann dreht sich alles nur um eine Frage: Wann gibt es eine nächste Lockerung und wie wird sie aussehen? Mit den jetzigen Einschränkungen könnten weder er noch seine Kollegen auf Dauer wirtschaftlich überleben.

Wirte haben große Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz

Die Initiative der „Rü-Retter“ sei ein wichtiges Signal, um auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen“, betont Süleyman Genc von Plan B. Er fasst die Krux seines Lokals in einem Satz zusammen: „Unsere Kneipe ist eigentlich eine große Theke, aber Theke ist derzeit verboten“. Als Notnagel sei ihm nur geblieben, sechs Tische aufzustellen, an denen jeweils vier Personen Platz nehmen können. „Und das ist das Maximum“. Wegen der Kontaktsperren dürften aber meist nur zwei Leute an einem Tisch sitzen. Natürlich freue er sich, dass die Leute ihm die Treue halten, doch der Umsatz sei total geschrumpft und er wisse auch nicht, wie lange das gut gehen könne. Diese Frage stellt sich auch Patrick Ampütte. Seiner Gaststätte sei die Hälfte des Umsatzes weggebrochen.

Die Zweibar von Phil Hinze gehört zu den Lokalen, die ihre Besuchszeiten derzeit recht flexibel handhaben. „Wir schauen gerade, was am besten passt“. Nach dem Lockdown kehren nach seinen Worten die Gäste zwar zurück, aber es brauche offensichtlich alles seine Zeit. Daher komme auch für ihn die Initiative sehr gelegen. „Den Menschen dürfte es doch sicherlich Spaß machen, sich mal wieder in der einen oder anderen Kneipe ein Getränk zu bestellen“.

„Absage der Spielemesse ist besonders schmerzlich“

Als Afshin Sadaghiani seine Rüttenscheider Hausbrauerei nach acht Wochen wieder öffnen durfte, „habe er sich total gefreut“, erzählt der Gastronom. „Es kehrte endlich wieder Leben zurück“. Doch die Bedenken, die er hegte, sollten sich bestätigen. Der Wirt hat nur noch zehn Prozent des Umsatzes im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten.

Sein Betrieb lebt im Wesentlichen von Messebesuchern und Unternehmensfeiern. Doch da bis Ende Oktober alle Messen abgesagt seien und sich Betriebsfeste nicht mit den Corona-Regeln vereinbaren ließen, blieben die Säle weitestgehend leer. Den fehlenden Einnahmen stünden aber enorme Ausgaben entgegen, schon allein die Betriebsfläche von 1000 Quadratmetern führe zu hohen Kosten. Von seinen 19 Beschäftigten seien sieben vorübergehend wieder im Dienst, ansonsten gelte noch Kurzarbeit, erklärt Sadaghiani.

Gastronom fordert mehr Unterstützung von der Politik

Von der Politik fühle er sich allein gelassen. Es heiße zwar immer, man wolle dem Mittelstand helfen, aber bislang sei gerade in der Gastronomie wenig angekommen. Vor ihm liegen nun viele Monate, in denen der Umsatzkurve kaum nach oben zeigen dürfte. Besonders schmerzhaft sei das Aus für die Spielemesse. Denn an den Tagen habe der Laden richtig gebrummt.

Nani Nix (Menehune Cocktailbar) weiß auch darum, wie sehr die Messen Leute auf die Rü locken. Dass das nun nicht geschehe, sei schon bitter. So sehr auch die Stammgäste ihrer Bezeichnung gerecht würden, ließen sich aber nun mal nicht die Einnahmen erzielen wie vor Beginn der Krise. Aber sie kämpfe weiter, immerhin betreibe sie das Lokal seit inzwischen acht Jahren und habe bislang eine Erfolgsgeschichte geschrieben.

Während Nani Nix noch die zweite Etage geschlossen hält, hat Gabriel Gedenk („Banditen wie wir“) seine Bar noch gar nicht wieder geöffnet. „Bei 63 Quadratmetern hat das keinen Sinn“. Allerdings gehöre bei ihm der to-go-Service zum Programm. Freitags und samstags gibt’s den bunten Mix, von Cocktails bis hin zum Flaschenbier. Gedenk verhehlt allerdings nicht, dass über Crowdfunding auf dem Portal Startnext Geld zusammengekommen sei, das ihm für eine gewisse Zeit Sicherheit verschaffe.