Essen-Rüttenscheid. Viele Kneipen und Restaurants auf der Rüttenscheider Straße in Essen sind wieder geöffnet, auch wenn die Wirte geringe Umsätze befürchten.
Die Eisheiligen sorgen zwar für abendliche Maikühle, aber das kann Lisa McLean (26) und Emma Fellinger (20) nicht davon abhalten, sich vor dem Café Mondrian einen Tisch zu ergattern. „Wir sind so froh, endlich wieder ausgehen zu können“, sind sich die jungen Frauen einig. Die beiden möchten auch lieber unter freiem Himmel sitzen, drinnen verbringe man schließlich schon genug Zeit.
Rechte viele Kneipen in Essen-Rüttenscheid sind wieder geöffnet
Die Essenerinnen gehören zu einer recht anschaulichen Zahl an Gästen, die an diesem Abend einer der Lokale entlang der Rüttenscheider Straße aufsuchen. Recht viele Kneipen und Restaurant haben wieder geöffnet, auch wenn sie den Abstandsregeln gehorchend weniger Plätze als früher anbieten können. Doch das ist längst nicht der einzige Unterschied zu den Vor-Corona-Zeiten.
Im Mondrian beispielsweise war es ansonsten vollkommen egal, durch welche Tür die Besucher hereinkamen oder herausgingen. Jetzt nicht mehr. Ein- und Ausgang sind mit Hinweistafeln klar festgelegt. Zudem darf niemand an der Bar sitzen, sie ist mit Absperrbänder abgeklebt. Wie sich hier der Alltag weiter geändert hat, erleben die zwei Frauen, als sie Platz genommen haben. Kellnerin Chadia Choua (22) notiert Namen, Adresse und Telefonverbindung. „Die Leute haben dafür aber durchaus Verständnis“, berichtet die 22-Jährige. Zudem gelte die Vorgabe nicht fürs Mondrian, sondern in der gesamten Gastronomie. Falls, was niemand hofft, es darum geht, Infektionsketten nachvollziehen zu können, sollen solche Listen Hilfe bieten.
Wochenlange Kurzarbeit in der Gastronomie
Corona hin oder her, Georg Rutkowski, der am Nebentisch sitzt, ist mit zwei Freunden auf ein Bier ins Café gekommen. „Rauskommen tut einfach gut“. Ähnlich hat auch ein junges Pärchen gedacht, das sich bei „Gin & Jagger“ zwei Cocktails bestellt hat. Die zwei erzählen, dass sie ohne ein konkretes Ziel losgegangen seien und einfach mal schauen wollten, welche Kneipen „wieder am Start sind“. Die junge Frau, die ihren Namen nicht so gerne nennen möchte, erlebt seit Wochen die Folgen der Krise hautnah. Sie ist in der Gastronomie beschäftigt, seit Wochen sei sie in Kurzarbeit.
Gastronomin befürchtet zwar Umsatzeinbußen, aber eine Schließung kommt sie auch nicht in Betracht
Eingeschränkte Öffnungszeiten
Damit die Gäste die Abstandsregeln einhalten, haben eine Reihe von Gastronomen Tische zur Seite geräumt oder sie mit Abklebebändern versehen.
Wenn Speisekarten ausgegeben werden, dann nur in perforierter Form, um sie nach Gebrauch auch wieder desinfizieren zu können.
Einige Wirte haben Öffnungszeiten eingeschränkt, um Personal- und Sachkosten zu sparen.
In mehreren Restaurants finden sich gleich im Eingangsbereich Hinweisschilder mit der Bitte an die Gäste, Mund- und Nasenschutz zu tragen.
Davon sind auch einige Mitarbeiter von „Gin & Jagger“ selbst betroffen, so Geschäftsführerin Yu-Chin Chung. Mit einer solchen Situation hätte sie in den ersten beiden Monaten des Jahres nicht gerechnet. Die Umsatzkurve habe klar nach oben gezeigt. Damit habe es jetzt ein Ende. Die Schließung sei bitter gewesen. Aber die Gastronomin hat nach eigenen Worten keinen Augenblick gezögert, wieder zu öffnen, auch wenn sie nur etwa die Hälfte an Sitzplätzen anbieten kann. Sie weiß, dass die Einnahmen geringer ausfallen, ihr derweil aber die laufende Kosten bleiben, die sich zu Vor-Corona-Zeiten kaum unterscheiden. Aber das Lokal geschlossen zu halten, könne doch nicht die Antwort sein. Dabei blickt sie in den Raum hinein und meint: „Wir haben so viele Stammgäste, die auf die Wiederöffnung gewartet haben“.
Etwas zögerlich sei zwar der Auftakt in ihrer Trattoria Trüffel Da Diego verlaufen, berichtet Amanda Palermo, doch sie bleibt dabei ganz gelassen. Zum einen hat sie für die nächsten Tage schon reichlich Vorbestellungen und zum anderen sei ihr damit Zeit geblieben, sich an all die Änderungen zu gewöhnen. Vor allem die Mund- und Nasenmaske mache ihr zu schaffen. Damit ist sie im Übrigen nicht die einzige Gastronomin, der das Arbeiten damit schwer fällt. Auch in anderen Gaststätten empfindet das Personal die Masken als Belastung.
Corona-Regeln führen zu erheblichem Mehraufwand
Corona führe zu erheblichem Mehraufwand, ergänzt Amanda Palermo. Vor und nach einem Besuch müssten Tische und Stühle desinfiziert werden. Es sei darauf zu achten, dass die Gäste einzeln und nacheinander zur Toilette gehen. Zudem heiße es, Namenslisten führen. Speisekarten werden nicht mehr ausgeteilt, sondern die Menüliste auf einer Tafel vermerkt. „Oder wir zeigen dem Gast für sein Smartphone den Link zu unserer Seite“. Da komme einiges an Aufgaben zusammen, sagt die Essenerin. Wer wie sie und ihr Mann Diego Palermo seit 22 Jahren ein Restaurant betreibt, will weitermachen. Jetzt heiße es einfach durchhalten, weniger Umsatz in Kauf zu nehmen, in der Hoffnung, dass in ein bis zwei Monaten es wieder „normal läuft“.
Dass es soweit noch nicht ist, finden Hedwig und Günter Zwillich einerseits zwar schade, aber sie genießen es durchaus, „essen gehen zu können“. In ihrem Stammlokal hat Wirtin Ingrid Ampütte ihnen gerade die bestellten Schnitzelgerichte gebracht. Dabei fällt die Anzahl der möglichen Menüs geringer aus, Kaltspeisen gebe es ohnehin nicht, sagt Gastronom Patrick Ampütte.
Kurz vor der Neueröffnung ist er losgezogen und hat neue Tischtücher gekauft. „Plastikdecken statt Stoff, damit man auch desinfizieren kann.“ Apropos: Wer das Lokal betritt, auf den wartet eine Sprühflasche mit Desinfektionslösung. Falls ein Gast den Spender übersehen sollte, kommt eine Bedienung herbei und sagt freundlich: „Würden Sie bitte so nett sein“. Es gehe doch um den Schutz aller. Ungesagt bleibt, was wahrscheinlich jeder denkt und hofft: Beachten alle die Regeln, dann steigen die Chancen, Corona zu bezwingen.
Manche Wirte sehen die Neueröffnung als Versuchsballon
Ob die Gäste aber über einen längeren Zeitraum ein Kneipenleben mit Corona-Regeln akzeptieren, das müsse man abwarten, meint Patrick Ampütte. Er wolle jetzt auch ersteinmal sehen, was am Wochenende geschieht. Nach alter Zeit ist bis vier Uhr früh geöffnet. Ob es sich lohne, werde sich zeigen.
Auch für Patrick Sokoll vom Café Goldbar sind die nächsten Tage eine Art Versuchsballon. Die Frage laute, ob die Leute die Bar auch dann annehmen, wenn es nicht mehr heißen darf, eng ist gemütlich, sondern Abstandsregeln das Zusammensein bestimmen. Wirten wie Sokoll oder Fred Krause, der seine Tapasbar Pelayo am Freitag wieder für Gäste öffnen will, bleibt keine andere Wahl, als die Probe aufs Exempel zu machen. Am Ende dürfte sich wohl nach dem Kassensturz entscheiden, ob ihre Lokale geöffnet bleiben.
Im Café Livres sorgen Schaufensterpuppen für gebotenen Abstand
Wie soll ein Wirt einem Gast vermitteln, dieser möge doch bitte, wenn er Platz genommen hat, Abstand zu den anderen Besuchern halten? Mit dieser Frage haben sich alle Gastronomen vor der Wiedereröffnung auseinandergesetzt und am Ende unterschiedliche Antworten gefunden. Die einen räumten vorsichtshalber Tische zur Seite, damit sich die Gäste nicht zu nah kommen. Andere entschieden sich für Absperrbänder, um deutlich zu machen, dass bestimmte Plätze in diesen Zeiten nicht zur Verfügung stehen.
Für Carola Bühn kommen solche Lösungen nicht in Betracht. Das wirke doch irgendwie ungemütlich und passe auch so gar nicht zu ihrem Café Livres an der Moltkestraße. Bei der Suche nach einer Alternative kam sie auf eine pfiffige Idee. Im Hauptberuf arbeitet die Essenerin als frei schaffende Dramaturgin, hat gute Kontakte zu diversen Bühnen im Ruhrgebiet. Vom Aalto-Theater weiß sie, dass dort eine ganze Reihe Schaufensterpuppen in den Requisitenkammern ihr Dasein fristen. Ein Anruf genügte und schon stand der Umsetzung ihrer Pläne nichts mehr im Wege. Sie holte die Leihgaben ab und nun sorgen insgesamt sieben gut gekleidete Frauen und Herren dafür, dass die Gäste untereinander auf Abstand bleiben und dennoch ein Gemeinschaftsgefühl und ein lebendiges Miteinander entstehe, so Bühn. Die Anwesenheit unterstreiche zudem den Caféhauscharakter. Augenzwinkernde Ergänzung: „Absperrbänder passen auch überhaupt nicht zur Farbkombination der Räume“. Ein Hingucker sind die Figuren obendrein, wenn Passanten an dem Café entlanggehen. „Die neuen Stammgäste gehören ab sofort zum festen Ensemble des Cafés und sind sicherlich auch in Zukunft noch für die ein oder andere Überraschung gut“, so Carola Bühn.
Mit dem dem Essener Theater und der Philharmonie pflegt die Dramaturgin ohnehin eine enge Kooperation. Künstler und Mitarbeiter lesen einmal pro Monat im Café Livres aus ihren Lieblingswerken vor. Doch seit Corona sind solche Veranstaltungen auf Eis gelegt. „Wir hoffen, dass wir demnächst wieder zu den Lesungen einladen können“.