Essen-Rüttenscheid. Die allermeisten Läden in Rüttenscheid öffnen wieder. Doch so sehr sich die Geschäftsleute auch freuen, bleibt doch eine Portion Skepsis.

Hygienemittel bereitlegen, sich um Mundschutz kümmern, Hinweistafeln für Abstandsregeln aufstellen: Bevor die Kaufleute an der Rüttenscheider Straße am Montag wieder öffnen, treffen die allermeisten von ihnen besondere Vorkehrungen, um den Anforderungen in Zeiten der Corona-Krise gerecht zu werden. Während sie die Läden entsprechend ausstaffieren, bewegt sie vor allem die Überlegung, wie es nach vierwöchiger Schließung um das Kaufverhalten der Kunden bestellt sein wird. Die Einschätzungen der Händler sind dabei sehr unterschiedlich, wie eine Nachfrage ergab.

Händler aus Essen-Rüttenscheid treffen Vorkehrungen für die Hygieneregeln

https://www.waz.de/staedte/essen/essen-rue-umbau-zur-fahrradstrasse-kostet-viele-parkplaetze-id228336503.htmlEs war eher eine Zufallsbegegnung, die Schmuckhändlerin Judith Martini in diesen Tagen erlebte, aber für sie steckt darin Symbolkraft. Zwei Kundinnen standen vor ihrem Geschäft und meinten, dass es schön sei, wenn sie es ab Montag wieder betreten könnten. In der Äußerung komme zum Ausdruck, dass „sich manche Menschen jetzt wieder etwas gönnen möchten“, sagt die 59-Jährige. Dass nach wie vor die Kontaktsperre herrsche, mache den Handel zwar sicherlich nicht einfacher, doch sie habe sich auf den Verkauf unter veränderten Vorzeichen vorbereitet. Beispielsweise bilden Tische an der Ladentheke eine Barriere, um die entsprechende Distanz zu wahren. Sie selbst wolle Mundschutz tragen. Ein wenig heikel werde es möglicherweise, wenn Schmuck aus den Vitrinen geholt werde, um ihn den Kunden zu zeigen. Da müssten alle Beteiligten dann schon darauf achten, dass Abstände gewahrt bleiben.

Stefanie Brecklinghaus ist froh, dass sie mit ihrem Second-Hand-Shop wieder durchstarten kann.
Stefanie Brecklinghaus ist froh, dass sie mit ihrem Second-Hand-Shop wieder durchstarten kann. © WAZ | STEFAN AREND

Die Vorgaben, an die sie sich nun halten müsse, sind für Stefanie Brecklinghaus vollkommen richtig und nachvollziehbar. Sie betont auch, froh zu sein, dass ihr Second-Hand-Shop wieder durchstarten könne. Gleichwohl sieht sie ein Problem: Für einen angemessenen Umsatz benötige sie eigentlich einen regen Kundenverkehr. Ob der aber überhaupt in der Form möglich sei, wenn immer immer nur ein oder zwei Leute im Laden sein dürfen, da habe sie auch gewisse Zweifel. Hinzu komme noch ein weiterer Faktor: Für ihr Geschäft sei es wichtig, auch mal längere Gespräche zu führen. Das bedeute aber wiederum, dass es gerade unter den jetzigen Bedingungen nicht so schnell vorangehen könne.

Frage nach der Reaktion der Kunden

Bernd Schwantes, Chef des gleichnamigen Elektronik-Fachmarktes, sieht indes eine andere Schwierigkeit auf den Handel insgesamt zukommen. Die Corona-Krise führe zu Kurzarbeit, Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren oder hätten mit weiteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, so der 56-Jährige. Da liege die Vermutung nahe, dass die Betroffenen Investitionen und Anschaffungen zurückstellen oder aufschieben. Er habe auch durchaus Verständnis für ein solches Verhalten, am Ende würden es aber die Händler bei ihren Umsatzzahlen deutlich zu spüren bekommen, meint Schwantes. Er ist ohnehin der Ansicht, dass die Lockerung mindestens ein bis zwei Wochen zu früh erfolge.

Lieferengpässe bei den Mundschutzmasken

Viele Händler bemühen sich seit Tagen, Mundschutze noch rechtzeitig und damit vor der Eröffnung am Montag zu bekommen.

Doch wie die Kaufleute berichten, machen sich die Lieferengpässe deutlich bemerkbar. Wahrscheinlich würden die Masken erst im Laufe der Woche eintreffen, heißt es aus verschiedenen Geschäften. Möglicherweise müsse man sogar noch länger darauf warten.

Die Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR) ist nach Worten ihres Vorsitzenden Rolf Krane erleichtert, dass nun Läden bis 800 Quadratmeter wieder öffnen dürfen. Man hätte sich aber auch durchaus mehr an Lockerungen vorstellen können. Allerdings, so Krane, dürfe man nicht vergessen, dass Gastronomiebetriebe noch immer geschlossen bleiben müssten. Das könne die Existenz von Betrieben gefährden und wirke sich zudem auch nachteilig auf den Standort Rüttenscheid aus.

Die Zahlen der Erkrankten und Infektionen, wozu man auch immer eine entsprechende Dunkelziffer rechnen müsse, bewege sich noch immer auf einem recht hohen Niveau. Um nicht missverstanden zu werden, fügt der Geschäftsführer an, dass es natürlich vorteilhaft für sein Geschäft sei, nach den vier Wochen wieder loslegen zu können. Wünschenswert sei aber auch hier gewesen, wenn für alle, ob Kunden, ob Verkäufer, Mundschutz als verpflichtend vorgeschrieben worden wäre.

Buchhandel verkauft nur durchs Fenster oder liefert Ware aus

Da Susanne Böckler die Gesundheitslage noch immer als sehr risikoreich ansieht, will sie ihre Buchhandlung „Alex liest Agatha“ nur bedingt öffnen. Der Laden selbst bleibe geschlossen, der Verkauf erfolge entweder durch das Fenster ihres Geschäftes oder es würden die Bücher wie in den vergangenen Wochen ausgeliefert. Der Schutz der Kunden und Mitarbeiter stehe gleichermaßen an erster Stelle, betont Susanne Böckler. Wie lange sie bei ihrer Regelung bleibe, lasse sich im Moment noch nicht sagen. Wohl aber lasse sich momentan festhalten, dass die Regierung von einer „zerbrechlichen Sicherheit“ spreche.

Ähnliche Vorbereitungen hat auch Jülie Yücekaya für ihr Modegeschäft Hanim getroffen. Sie stellt einen Einkaufswagen bereit, der in einem Shop wie ihrem sonst eher unüblich ist. Zudem werde auch der Sohn ihrer Schwester und Geschäftspartnerin als Aushilfe eingesetzt, um darauf zu achten, dass sich nicht zu viele Kunden im Geschäft gleichzeitig aufhalten.

Ela Kostadimas vom Concept Store Cob hat Wege für die Kunden markiert.
Ela Kostadimas vom Concept Store Cob hat Wege für die Kunden markiert. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Um für gewünschte Sicherheit zu sorgen, hat Ela Kostadimas vom Concept Store Cob in ihrem Geschäft die Wege für die Kunden markiert; wer sich seine Hände waschen möchte, habe dazu auch Gelegenheit. Vor der Tür gebe es Sitzplätze für die wartenden Kunden. Die 41-jährige Händlerin, die ein weitreichendes Sortiment vorhält, von Brotboxen über Kosmetika bis hin zu Babyartikel, hat während der Schließungszeit zahlreiche Gutscheine verkauft, die nun eingelöst werden können. Mit Beginn der Corona-Krise noch kurzfristig einen Onlineshop einzurichten, dafür habe die Zeit nicht mehr gereicht.

Derweil die Kaufleute in den Startlöchern stehen, kommt auch der Gedanke auf, ob Rüttenscheid mit seinen meist eher kleineren, inhabergeführten Geschäften in diesen Zeiten eine besondere Chance bekommen könnte. Gleichzeitig gibt es auch Warnungen, Händler und Standorte nicht gegeneinander auszuspielen.

Gastronomen sorgen sich um ihre wirtschaftliche Existenz

Gastronom Fred Krause fordert finanzielle Hilfen vom Staat.
Gastronom Fred Krause fordert finanzielle Hilfen vom Staat. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Der Frust sitzt tief bei Fred Krause. Er betreibt drei Gastronomien, die Tapas-Bar Pelayo und das Pomodoro, beide in Rüttenscheid, sowie das Buena Vida in Werden. Seit Corona, so sagt er, habe er im Prinzip überhaupt keinen Umsatz mehr. Ihm sei natürlich auch die Gesundheit der Menschen wichtig, doch diese Krise sei eine Gefahr für die wirtschaftliche Existenz. Die gesamte Branche stecke in großen Nöten, betont der 55-Jährige und nimmt auch kein Blatt vor den Mund: „Wir brauchen finanzielle Unterstützung vom Staat. Mit der Soforthilfe ist es nicht getan“. Ferner gibt Krause zu bedenken, dass Betriebe für Hilfskredite auch Zinsen zahlen müssen. Er vermisse zudem einen klaren Fahrplan, wie es weitergehen soll. Derzeit wisse man überhaupt nichts. Viele Betriebe würden zwar versuchen, sich mit Lieferservices und Direktverkauf über Wasser zu halten, doch aus eigener Erfahrung wisse er, wie schwierig das sei. Selbst wenn eines Tages wieder geöffnet werden dürfe, aber die Abstandsregeln noch Gültigkeit hätten, gehe das mit enormen Umsatzeinbußen einher. Beispielsweise habe die Rüttenscheider Tapas-Bar rund 95 Plätze. Müsse man die Hygienevorschriften einhalten, „können wir maximal 30 besetzen“. Die anfallenden Kosten, von der Miete bis zur Energie, ließen sich damit aber keineswegs bezahlen.

Restaurant weitet Angebote für Lieferdienste und Direktverkauf aus

Patrick Chacinski, Geschäftsführer des „Luck in a cup“ blickt auf die leeren Stühle seines asiatischen Restaurants an der Rüttenscheider Straße und gibt ganz klar zu verstehen, dass er schon auf ein höheres Maß an Lockerungen gehofft habe. Auf die jetzige Situation reagiere man in der Form, dass das Angebot des Lieferdienstes als auch zur Mitnahme deutlich ausgeweitet werde. Doch letztlich könne das nicht den Umsatz ersetzen, den man mit dem regulären Betrieb erziele. Derweil versuche das Team auch mit Werbung auf sich aufmerksam zu machen, „damit wir in den Köpfen der Menschen bleiben“.

Die Leiterin einer Systemgastronomie, die ihren Namen nicht in den Medien lesen möchte, hat die große Hoffnung, dass die Regierung doch in Kürze umschwenkt und den Besuch von Restaurants zulässt. Wenn man auch deutlich weniger Gäste hätte, wäre die Lösung doch deutlich besser als die jetzigen strikten Regeln. In einem italienischen Restaurant auf der Rüttenscheider Straße hat der Inhaber einen großen Spuckschutz anbringen lassen, die Gesundheit aller Kunden und Mitarbeiter sei nun mal ein hohes Gut, betont der Geschäftsmann. Es werde sicherlich noch lange dauern, bis die Beschränkungen zurückgenommen würden, meint er und hofft, dass sein Betrieb die Zeit übersteht.