Rüttenscheid. Essens Ärztin Carola Holzner hat mit einem Song über Notfallsanitäter ein Millionenpublikum erreicht. Dann hatte sie eine pfiffige Benefiz-Idee.
Da geht am späten Abend über die 112 in der Leitstelle einer Kleinstadt folgender Notruf ein: Ihr Mann sei in der Wohnung schwer gestürzt, berichtet eine Frau am anderen Ende der Leitung. Notfallsanitäter sind binnen Minuten am Unfallort, der Arzt – durch einen anderen Einsatz gebunden – trifft erst später ein. Dürfen die Sanitäter nun aber schon Medikamente verabreichen, um zumindest die Schmerzen des Mannes zu lindern?
Antwort aus Essen auf die Bezeichnung „Krankenwagenbelademeister“
Die Frage, wie weit die Kompetenzen der Rettungskräfte reichen, ob sie beispielsweise auch Spritzen geben oder Zugänge legen dürfen, bildet rechtlich eine Grauzone, wie die leitende Oberärztin am Essener Uniklinikum, Carola Holzner, erklärt. Sie hat sich unter dem Namen Doc Caro auf Youtube in eine aktuelle Debatte über das strittige Thema eingeschaltet – und zwar mit einem selbstverfassten Song. „Aus gutem Grund“, wie sie sagt. Denn ihr Video ist eine Antwort auf den Clip des Notfallsanitäters Peter Haehne aus dem Landkreis Göttingen, der in seinem Lied zu den Grenzen seiner Tätigkeit bei einem Einsatz etwa folgende ironische Zeile getextet hat: „Tut mir leid, ich bin nur Notfallsanitäter, der weiße Engel kommt ‘ne halbe Stunde später“ und dann an den Patienten gewandt: „Bis dahin unterhalten wir uns nett hier am Bett“. Seinem Beruf gibt er die satirische Bezeichnung „Krankenwagenbelademeister“.
Rein rechtlich, da ist Holzner ganz bei Peter Hähne, dürfe auch ein Notfallsanitäter eigenverantwortlich keine medizinischen Entscheidungen treffen. Aber – und darauf hebt sie nun in ihrem Youtube-Beitrag ab - habe er durchaus gelernt, beispielsweise bei Unterzuckerung Glucose oder im Fall der Fälle blutdrucksenkende Mittel oder bei einem Herzinfarkt die erforderlichen Arzneien zu geben. Die Aufgabe von Notfallsanitätern bestehe doch darin, alle erforderlichen Maßnahmen für den jeweiligen Patienten zu ergreifen, auch solche, die eigentlich einem Mediziner vorbehalten seien, wenn der Arzt in einer anderen lebensbedrohlichen Lage gebraucht werde.
Forderung an den Gesetzgeber
Dass Peter Haehne aber durchaus einen wunden Punkt getroffen hat, daran lässt die Medizinerin keinen Zweifel. So formuliert sie unter anderem, dass die Politik das Problem noch nicht erkannt habe. Sanitäter können sich bei eigenverantwortlichem Handeln durchaus strafbar machen. Wenn sie nicht handeln aber ebenso, denn bei einem Notstand seien sie verpflichtet einzuschreiten, erklärt die Medizinerin.
In einem Interview hat Peter Haehne davon gesprochen, dass er und seine Kollegen immer in dem Dilemma zwischen moralischer Verpflichtung und rechtlichen Vorgaben leben würden. Solche Bedenken sind für die Essener Oberärztin sehr gut nachzuvollziehen. Der Gesetzgeber müsse hier Klarheit schaffen und bundesweit für einheitliche Regelungen sorgen. Derzeit hänge es nämlich auch von den Vorgaben der jeweiligen ärztlichen Leiter in den Städten und Gemeinden ab, über welche Befugnisse die Sanitäter am Einsatzort verfügen. Das verstärke die Unsicherheit und das Unbehagen der Einsatzkräfte noch einmal.
Spende an Essener Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder
Die beiden Videos sind mittlerweile mehrere hunderttausend Mal angeklickt worden, wenn man Facebook einbeziehe, komme man fast schon auf eine Million Klicks, sagt die Essener Ärztin. Derweil sich nun verschiedene Ärzteverbände des Themas angenommen haben, hat Carola Holzner eine pfiffige Idee in die Tat umgesetzt. Um Solidarität mit den Notfallsanitätern zu bekunden und gleichzeitig auch die Öffentlichkeit auf die Problemlage hinzuweisen, ließ sie mehrere T-Shirts mit dem Begriff „Krankenwagenbelademeister“ bedrucken. „Sie fanden einen reißenden Absatz“, erzählt die 37-Jährige. Von dem Erlös aus dem www.doccaro.shop hat die Medizinerin je 1500 Euro an die Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder und 1500 Euro an den Wünschewagen des ASB (Arbeiter-Samariter-Bund) gespendet.
Regeln für den Essener Rettungsdienst
In der Frage, welche Befugnisse das Fachpersonal des Rettungsdienstes hat, gilt in Essen folgende Grundregel, so der stv. ärztliche Leiter Rettungsdienst, Bastian Brune: Die Einsatzkräfte ergreifen, auch wenn der Notarzt noch nicht vor Ort ist, zunächst lebensrettende bzw. lebenserhaltende Maßnahmen. In den allermeisten Fällen treffe der Notarzt, wenn nicht gleichzeitig, so doch kurz nach dem Rettungswagen ein, sagt Brune, und könne am Einsatzort die notwendigen Entscheidungen treffen und Maßnahmen umsetzen.
In der Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes erfolge die Untersuchung des Herz-Kreislauf-Systems, beispielsweise das Messen des Blutdrucks oder das Erstellen eines EKG. So habe der Notarzt bei Eintreffen die notwendigen Daten, um die weiteren Behandlungsschritte einzuleiten. Eine solche Handhabe werde im Gemeinsamen Rettungsdienstkompendium des Rhein-Kreis Neuss festgelegt, dem sich Essen und weitere Nachbarstädte angeschlossen haben, um gemeinsame Standards zu etablieren. Es wäre wünschenswert, wenn es zukünftig bundesweit einheitliche Regeln gebe, betont Brune.
In Essen seien ständig sieben Notärzte im Dienst, wodurch generell eine schnelle notfallmedizinische Versorgung gewährleistet werden könne, erklärt Brune.