Essen-Moltkeviertel. . Bei einem Feierabendspaziergang durchs Moltkeviertel wurde den Teilnehmern vor Augen geführt, wie visionär die Architekten um 1900 geplant haben.
Ein Feierabendspaziergang mit dem Kulturjournalisten Tankred Stachelhaus und rund 60 interessierten Bürgern führte durch ein städtebauliches Gesamtkunstwerk, wie man es in Essen kein zweites Mal findet: Das Moltkeviertel wurde Anfang des vergangenen Jahrhunderts von den damals besten Architekten erbaut, und bildet mit seinen schönen Wohnhäusern, hübschen Straßen und klassischen Grünanlagen eine stimmige Einheit.
Es ist dem damaligen genialen Essener Stadtbaurat Robert Schmidt zu verdanken, dass dieses schöne bürgerliche Viertel zwischen Ruhrallee, Töpferstraße, Rellinghauser Straße und dem S-Bahndamm entstand. Schmidt sah die Notwendigkeit, neuen, großbürgerlichen Wohnraum in der schnell wachsenden Stadt zu schaffen. Doch er wollte keineswegs ein homogenes Viertel für die Reichen errichten. Ganz bewusst plante er auch Straßen, in denen nicht ganz so vermögende Essener ihre eher kleinbürgerlichen Wohnträume erfüllen konnten.
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An Robert Schmidt erinnert die ehemalige Königlichen Baugewerkschule, die heute als Berufskolleg den Namen des Planers trägt und der erste Halt der Feierabendspaziergänger ist. 1912 wurde die von Edmund Körner gebaute Schule eingeweiht, die an markanter Stelle mitten im Moltkeviertel steht und mit ihrem Uhrenturm, der gleichzeitig das Markenzeichen des Viertels ist, alle Gebäude überragt.
„Hier lässt sich die damalige Reformarchitektur besonders gut erkennen“, erzählt Stachelhaus. Und dass es früher auf der anderen Seite des kleinen Tales, das im Moltkeviertel nur Messelberg genannt wird, sogar einen Aussichtspunkt gegeben hat, von dem aus man den schlichten Monumentalbau bewundern konnte.
Tennisplätze zum Schlittschuhlaufen
Längst haben hohe Bäume die Sicht auf die Baugewerkschule versperrt. Sie sind nicht ganz so alt wie die knorrigen grünen Platanen, die seit über 100 Jahren die Grünanlage am Moltkeplatz einrahmen. Die war sozusagen die Visitenkarte des Viertels und wurde mit großer Sorgfalt als Spiel- und Erholungsort angelegt. Einen Spielplatz gibt es immer noch und auch Tennis wird hier seit den Anfängen gespielt, „doch früher hat man im Winter die Tennisplätze in Eisflächen verwandelt und ist darauf Schlittschuh gelaufen“, weiß Stachelhaus, der seine kleinen Geschichten mit alten Fotos ergänzt, auf denen flanierende Damen mit Sonnenschirmchen und Dienstmädchen mit spielenden Kindern zu sehen sind. So heitere Szenen sieht man heute nicht mehr ganz so oft. Dafür tollende Hunde mit ihren Herrchen auf der „Skulpturenwiese“ am unteren Ende des Moltkeplatzes.
Von hier aus startet eine der sicherlich schönsten Straßen der ganzen Stadt: Die leicht geschwungene Semperstraße verbindet den Moltkeplatz mit dem Camillo-Sitte-Platz und wurde von Robert Schmidt als Gartenstraße geplant. „Alle Vorgärten gehörten der Stadt und wurden einheitlich bepflanzt“, erzählt Tankred Stachelhaus. „Glücklich war, wer hier wohnen durfte“, seufzt einer der Teilnehmer beim Blick auf die herrlichen Villen und Häuserzeilen rechts und links der Semperstraße. Das gilt auch heute noch.