Essen-Heisingen. . Wilfriede Krieger entdeckt im Keller eine selten gut erhaltene Jubiläumsausgabe des SPD-Blattes Vorwärts,die sie nun den Genossen in Heisingen zur Verfügung stellen möchte. „Damit es auch in gute Hände kommt.“

Reiner Zufall? Oder hatte am Ende doch der Geist des Altkanzlers seine Finger im Spiel? Das, was Wilfriede Krieger dieser Tage in ihrem Keller in Heisingen fand, just im SPD-Jubiläumsjahr und dann auch noch fast auf den Tag genau am 100. von Willy Brandt, ist schon ungewöhnlich, hat Bedeutung und einen durchaus ideellen Wert – zumindest für Sozialdemokraten und ambitionierte Historiker.

Die 1976 zum 100. Jubiläum des SPD-Blattes Vorwärts erschienene DIN A3-Sonderausgabe ist nicht nur größer und ungleich umfangreicher als das Original – sie sieht auch noch aus wie geleckt und nie gelesen. Und genau deshalb soll sie bei den Heisinger Genossen alsbald auch einen Ehrenplatz bekommen. Zurück in die Zukunft war gestern. Vorwärts in die Vergangenheit . . .

Die genaue Herkunft des Bandes ist Wilfriede Krieger nicht bekannt, was sie aber weiß: „Irgendwann hat sie mein Vater Karl, der lange Mitglied im Ortsverein Frohnhausen war, wohl geschenkt bekommen.“

Die Kindheit in Frohnhausen

Politisch aktiv ist die 66-Jährige nicht, trotz ihrer Mitgliedschaft im SPD-Ortsverein Heisingen. Politik spielte früher in der Familie eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt. Man hatte andere Sorgen. „Wir waren vier Kinder, wuchsen alle in Frohnhausen auf, und als wir größer wurden und wählen durften, hat der Vater gesagt, wo wir unser Kreuzchen machen sollten. . .“

Ein Blick in die Jubiläumsausgabe ist gleichwohl spannend. Viele Ereignisse von zeitgeschichtlicher Bedeutung, die, natürlich aus SPD-Sicht, festgehalten wurden, als die Vorwärts-Macher noch einen journalistischen Anspruch und Leser ohne Ende hatten. Wegweisendes wie der „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932, als der umstrittene Reichskanzler von Papen die SPD-geführte Regierung Preußens in einer Art Staatsstreich abservierte.

Warum im Umkehrschluss Veröffentlichungen fehlen, die seinerzeit mächtig Auflage machten, ist unbekannt. Von den bis heute überaus umstrittenen „Enthüllungen“, in denen der Vorwärts etwa 1902 Friedrich Alfred Krupp als homosexuell denunzierte, steht in der Jubiläumsausgabe keine Zeile. Ein Grund? Kein Grund.

Sei’s drum: Damit der Band in gute Hände kommt, hat Wilfriede Krieger Kontakt zum Heisinger Henner Höcker aufgenommen, Ratskandidat und Geschichtslehrer an der Hauptschule Bochold. „Dass es eine solche Jubiläumsausgabe gab, wusste ich gar nicht“, ist der 57-Jährige schwer begeistert. Sein Plan: Das Buch soll in Zukunft beim Heisinger Ortsvereinsvorsitzenden untergestellt werden, aktuell wäre das Annette Jäger. „Und wer möchte, kann es sich ansehen oder vielleicht sogar ausleihen. Lohnt sich.“

Der Vorwärts wurde 1876 in Leipzig als Zentralorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands gegründet, die 1890 in SPD unbenannt wurde. Das Sozialistengesetz gegen „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ sorgte 1878 für die Einstellung, als „Der Sozialdemokrat“ erschien er ab 1879 in Zürich – illegal. 1891, das Sozialistengesetz galt nicht mehr, wurde der Vorwärts in Berlin neu gegründet, war SPD-Zentralorgan und ist längst, für viele Genossen ein eher sprödes Format, reine Mitgliederzeitung.