Essen-Überruhr. .
Wer die Wittlichs besucht, wird im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert: Vater Wittlich lässt eine Karo Dame durch ein Kartenspiel wandern, Sohn Horst verknotet Metallringe und sein großer Bruder wirbelt jonglierend Äpfel durch die Luft. Keine Frage: Das Herz dieser Familie schlägt für den Zirkus.
Wann die Liebe zur Gaukelei angefangen hat, das kann Jürgen Wittlich gar nicht mehr so genau sagen. „Mein Vater und mein Großvater waren schon Fans, aber als Zuschauer.“. Ihm selbst zog es mehr in die Manege.
Ein Schlüsselerlebnis hatte er vor 30 Jahren: „Da hatte ich eine Freundin in Wangerooge“, erinnert er sich. Doch auf der Nordseeinsel habe er kein Quartier ergattern können. „Da habe ich mich in Bremen herumgetrieben – dort gastierte gerade Roncalli.“
Hospitanz bei Roncalli
Es war die Zeit, die den Zirkus mit dem Programm „Die Reise zum Regenbogen“ unsterblich machen sollte. Die Zeit, in der vor allem der Clown Pic die Zuschauer mit seinen Seifenblasen verzauberte und die dem Zirkus ein avantgardistisches Image einhauchte, von dem er noch heute zehrt.
„Ich habe dort herumgehangen, nach einer Unterkunft gefragt und man hat mich in einem Wohnwagenabteil schlafen lassen“, erinnert sich der 52-Jährige. Beim Schlafen blieb es nicht lange. Er wurde zum Hospitanten, schaute den Artisten hinter den Kulissen über die Schulter, fühlte sich schnell als Teil des Ganzen. Pic hat mir gezeigt, wie man sich schminkt“, sagt er nicht ohne Stolz. Spätestens da war Jürgen Wittlich klar: Er wird Clown.
Auftritte hatte er dann zwar nicht in der schimmernden Roncalli-Manege, dafür in kleineren Familienzirkussen, etwa dem in Witten ansässigen Zirkus Antoni. „Mir haben damals die Clown-Entrees der Familienzirkusse nicht gefallen“, verrät Wittlich, „die kamen mit dem Holzhammer daher.“ Von Pic & Co. ließ er sich zeigen, wie es besser geht: „Die sagten, ich soll mit den Augen klauen und dann selbst auftreten. Gesagt getan. Immer wieder schaute er sich Tricks und Kniffe bei seinen Vorbilder ab und wendete sie selbst bei Auftritten an. Bei den Zirkussen Renz und Verona etwa, oder auch bei Betriebsfeiern und Straßenfesten. ,„Ich war damals viel unterwegs, habe viel erlebt“, sagt er.
Doch richtiges Zirkusblut fließt dann doch nicht in seinen Adern – er wurde in Überruhr sesshaft. „Ich bin Ruhrpötter, bin hier geboren und gehöre hierher.“ Aber einmal Clown immer Clown: Mit einer Bekanten gründete er das Trio Larifari, konzentrierte sich auf Auftritte in Essen und Umgebung, bei Stadtteilfesten etwa oder als Kinderzirkus an Schulen. Moment... mit einer Bekannten? Fehlt da nicht ein Dritter? „Der dritte im Bunde ist das Publikum“, lacht Jürgen Wittlich.
Demzufolge müsste das „Trio Larifari“ inzwischen ein Quartett sein, denn als seine Partnerin „aus privaten Gründen“ ausschied, ließ die Nachfolge nicht lange auf sich warten: Seine Söhne Nils und Horst komplettieren nun das Duo – logisch, dass sie sich von den Clownereien seines Vaters haben anstecken lassen. Nils etwa erzählt, wie er den großen Clown Oleg Popov beim russischen Staatszirkus traf. „Er hat mich in seiner Garderobe beim Schminken zusehen gelassen“, erinnert er sich. „So viel anders als bei meinem Vater war das aber auch nicht“, lächelt der 22-Jährige. Dafür habe Popov viel zu erzählen gehabt. Was, weiß Nils Wittlich leider nicht, denn: „Er sprach nur russisch.“ Seinen ersten Auftritt hatte Nils als Dreijähriger: „Mir wurden andauernd die Requisiten aus dem Koffer gestohlen“, so Jürgen Wittlich - also setzte sich der kleine Nils drauf.
Doch auch Clowns müssen sich den ernsten Seiten des Lebens stellen. „Auftritte auf Stadtfesten sind gerade in Essen nicht mehr so gefragt wie einst“, sagt er. Überhaupt sei das Ruhrgebiet nicht gerade gauklerfreundlich: „Wenn ich mich irgendwo in Rheinland, in der Düsseldorfer Altstadt etwa, hinstelle und Faxen machen, habe ich sofort eine Menschentraube um mich herum. Wenn ich in der Essener Innenstadt einen Elefanten hoch hebe, fragen die mich erstmal, ob ich eine Genehmigung habe.“
Kein Ende in Sicht
So arbeitet er im zivilen Leben als Hausmeister an der Realschule Überruhr. „Von irgendwas will die Miete ja bezahlt werden“, lacht er. Den Job bekam er übrigens, weil er zuvor an dieser Schule einen Kinderzirkus veranstaltet hat. Kontakte konnte er sich immer gut zu nutze machen. Als er am Aalto-Theater als Orchesterwart arbeitete oder beim Theater Freudenhaus als Bühnenbildner, konnte er davon auch immer als Clown profitieren. „Die Kollegen helfen mir noch heute aus“, freut er sich, „mal mit Requisiten, mal mit Tipps.“
Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. „Das geht nicht“, schüttelt er den Kopf. Dafür kommt der Clown zu oft raus – wie zuletzt in Barcelona. „Als meine Frau in ein Lokal auf die Toilette zu benutzen, wurde mir langweilig, da habe ich mit ein paar Kunststücken angefangen“. Die Welt ist nun einmal eine Bühne – und für einen Gaukler wie Jürgen Wittlich erst recht.