Essen-Kray. Ein Stadtteilspaziergang führt durch den Krayer Süden: Der Heimatforscher Robert Welzel weist den Weg durch die Epochen der Architekturgeschichte.

Wo die Krayer Straße mit der Straße Am Bocklerbaum im spitzen Winkel zusammentrifft, steht ein architektonisches Wahrzeichen: das Bügeleisenhaus. Den Namen trägt das trapezförmige Gebäude wegen seiner auffälligen Form. Die erinnert an ein Bügeleisen. Robert Welzel (50) stellt das um 1900 erbaute Haus auf einem Stadtteilspaziergang vor.

An der langen Seite zur Krayer Straße hat es eindrucksvolle 16 Fensterachsen. „Die Grundrisse in solchen Häusern waren natürlich auch speziell“, sagt er. „In der Gründerzeit war es üblich, nicht ganze Wohnungen, sondern einzelne Zimmer zu vermieten.“

Gut zwei Stunden dauert die Runde zu den baulichen Schönheiten

Wäre nicht Corona, hätte der Essener Buchautor, VHS-Mitarbeiter und Heimatforscher Robert Welzel in diesen Tagen einer größeren Gruppe interessierter Bürger besondere Orte im Umfeld der Krayer Straße gezeigt. Etwa zwei Stunden hatte er für die Runde zu den baulichen Schönheiten aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eingeplant. Doch die Jugendstilfassaden lassen sich auch allein oder zu zweit entdecken. Wer gerade oft spazieren geht, findet Abwechslung bei einem Architektur-Rundgang.

An der Ernststraße 7 ist noch die typische Buntverglasung aus der Kaiserzeit erhalten.
An der Ernststraße 7 ist noch die typische Buntverglasung aus der Kaiserzeit erhalten. © Socrates Tassos

Start ist an der Autobahnausfahrt Kray. Parken kann man an der Krayer Straße. Wer mit dem Bus kommt, steigt an der Haltestelle Kiwittstraße aus (Linie 146). An der großen Kreuzung mit der A40 erinnert wenig an die Gründerzeit. „Früher stand hier die Sparkasse als repräsentativer Blickfang“, weiß Welzel. Rechts neben dem Wohn- und Geschäftshaus Krayer Straße 197 führt ein schmaler Weg zur Marienstraße. Hinter der Schallschutzwand bilden grüne Sträucher ein wildes Dickicht. Nur das Rauschen des Verkehrs trübt die Idylle.

Jugendhalle dient Vereinen als Veranstaltungs- und Trainingsstätte

Am Ende mündet die Gasse in der Marienstraße. In hellem Beige erstrahlt hier die 1914 eröffnete Jugendhalle. Das zweigeschossige Gebäude mit dem roten Ziegeldach, grüßt aus der späten Kaiserzeit. Es dient – mit Unterbrechungen – seit über 100 Jahren Vereinen und Sportlern als Veranstaltungs- und Trainingsstätte. Im Ersten Weltkrieg war die Jugendhalle ein Lazarett, im Zweiten Weltkrieg bot sie 100 Flüchtlingen Heimat. In den 1960ern setzte sich die Krayer Bürgerschaft für die ursprüngliche Wiedernutzung ein. Seit 1986 steht die Halle unter Denkmalschutz, 2012 wurde sie saniert. Ihr Saal bietet 400 Besuchern Platz.

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Die Fassade des Hauses Schöllerskampstraße 26 weist interessante Stuckornamente auf.
Die Fassade des Hauses Schöllerskampstraße 26 weist interessante Stuckornamente auf. © Socrates Tassos

An der Marienstraße entlang führt die Tour vorbei an einer Reihe gut erhaltener Jugendstilbauten. Wer nach oben schaut, entdeckt hübsche Fassadendetails. Reicher Schmuck findet sich an der Buderusstraße 2, an der Ecke Marienstraße. In Formen gegossene Blumen-Ornamente zieren das grau-weiße Gebäude mit den markanten Erkerzimmern in den beiden oberen Stockwerken. Für die Wohnräume im ersten Stock, der „Beletage“, wurden die höchsten Mieten verlangt.

Asymmetrische Fassade mit einer Original-Eichentür

Alte Verzierungen kann man ein paar Meter weiter in der Marienstraße 18 und 26 entdecken. Hier eine asymmetrische Fassade mit der Original-Eichentür und auffälligen Stuckfratzen, dort die im Jugendstil ebenfalls übliche Ziegelbauweise. Rote und gelbe Steine wechseln sich ab. Halbrechts geht es in die Ernststraße, wo hohe Bäume Schatten spenden.

Das Haus Am Zehnthof 193 fasziniert den Architekturkenner durch eine Reihe von vier dekorativen Omegabögen über den Fenstern.
Das Haus Am Zehnthof 193 fasziniert den Architekturkenner durch eine Reihe von vier dekorativen Omegabögen über den Fenstern. © Socrates Tassos

Auf der linken Seite zeugen repräsentative Villen aus den Jahren 1908 bis 1911 vom Wohlstand in der Kaiserzeit. Blickfang ist die Nummer 5 mit ihren Rosen- und Äpfel-Stuckaturen. Hier gefallen Welzel zudem geschwungene Linien um die Fenster. „An der Ernststraße 7 ist im Erdgeschoss sogar noch die typische Buntverglasung erhalten.“

Eine Reihe von dekorativen Omegabögen über den Fenstern

Linker Hand läuft man weiter durch den baumreichen Pramenweg zur Straße Am Zehnthof, eine der Krayer Hauptachsen. Neben 50er- und 60er-Jahre Schlicht- und Zweckbauten für Kleingewerbe und Einzelhandel schlummern baugeschichtliche Perlen. Welzels Highlight ist Am Zehnthof 193. Vor allem die Reihe der vier dekorativen Omegabögen über den Fenstern fasziniert den Kenner. Die runde Form des 24. und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets war im auch „Art nouveau“ (frz. „neue Kunst“) genannten Jugendstil beliebt.

Kunstgeschichte

Der Jugendstil ist eine kunstgeschichtliche Epoche an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Robert Welzel, Mitarbeiter der Essener Volkshochschule, hat für den Historischen Verein Essen zwei Bücher zum Thema verfasst: „Essener Streifzüge“ Band 2 und 3.

Erschienen sind die Werke im Klartext Verlag und für 9,95 bzw. 12,95 Euro im örtlichen Buchhandel erhältlich.

Weiter geht es auf der anderen Straßenseite, links vorbei an Aldi, Richtung Bahnhof Kray-Süd. Dahinter rechts auf den Steeler Pfad bis zum Krayer Südpark, der sich als grüne Oase erweist. Wer ihn durchquert, kommt am oberen Ende zu einer Treppe. Hier zweimal links in die Straße Am Kalverkämpchen, wo eine fast geschlossene Häuserzeile mit anspruchsvollen Stuckarbeiten wartet. Jetzt noch etwa 700 Meter über den Steeler Pfad zur Schöllerskampstraße. Durch die Straße Zum Oberhof geht es zurück zur Krayer Straße mit dem Bügeleisenhaus, wo die Tour endet.

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