Essen-Huttrop. . Die Arbeitstherapie verhilft psychisch erkrankten Menschen durch feste Abläufe zu neuer Struktur. Jüngstes Projekt: eine Kräuterschnecke
Ist ein Knochen gebrochen, eine Arterie verstopft, der Blutdruck zu niedrig oder die Harnsäure zu hoch, kriegt der Arzt das meist raus und kann es auch behandeln. Was aber, wenn einmal die Psyche eines Menschen stolpert oder gar komplett aus dem Gleichgewicht gerät? Dann wird’s oft schwierig, weil der Grund für zerbrechliche Seelen so einfach nicht auszumachen ist. Was ist die Ursache? Was ist zu tun, um alles ins Lot zu bringen? Therapien und Heilungsansätze gibt es viele, viele versprechen Hilfe. So wie die Arbeitstherapie in der psychiatrischen Fachklinik der Kliniken Essen-Mitte.
Seit einem Jahr ist Werner Ritter als Arbeitspädagoge in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin tätig. Früher arbeitete der heute 50-Jährige als Zimmermann und war es gewohnt, in die Hände zu spucken und „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Und genau das zahlt sich heute aus, denn Ritter, den alle nur „Jo“ nennen, weil Werner-Josef nicht nur für ihn irgendwie doof klingt, ist einfühlsam und doch auch pragmatisch. Er ist buchstäblich aus einem besonderen Holz geschnitzt.
Ritter leitet im Haus eine Holzwerkstatt, so etwas wie die Basisstation für die Arbeitstherapie. Und er hat ein Händchen für den alten Diakonissen-Garten im Huyssens-Stift, in dem früher die Schwestern Beete anlegten und Streuobst ernteten.
In Absprache mit den Ärzten kümmert sich Ritter in Einzel- und Gruppentherapien regelmäßig um Menschen, die psychische Probleme haben. Er gibt ihnen Halt, einen festen Rhythmus, zeigt ihnen Dinge – und lässt sie machen. „Viele Menschen würden sonst alleine doch irgendwie verschimmeln“, sagt er, und man weiß genau, was er meint.
Nistkästen für Vögel, Insektenhotels oder Schlafplätze für die Fledermäuse, die es auch in Huttrop natürlich gibt. In Ritters Werkstatt wird gehobelt und gehämmert. Sichtbaren Ergebnisse sieht man im Garten, von den zunächst unsichtbaren Fortschritten berichten die Patienten. Menschen wie Helene Hubert, die eigentlich anders heißt, ihren wirklichen Namen aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht sagen mag. „Projekte wie diese sind super, hier kann man abschalten und grübelt nicht. Alleine wäre ich sonst doch gar nicht mehr aufgestanden.“
Die 53-Jährige war auch dabei, als man im Frühjahr die Kräuterschnecke in Angriff nahm. Sie hat gebuddelt, alte Steine gesammelt und die Kräuter auf die Ebenen gepflanzt, auf die sie gehören. „Lavendel und Thymian natürlich nach oben in die Trockenzone.“
Vor einer Zeit wurde die Frau aus der stationären Behandlung entlassen, derzeit kommt sie hin und wieder noch zur Bewegungstherapie. Helene Hubert geht wieder arbeiten und ist, wie „Jo“ Ritter es ausdrückt, „wieder im Leben angekommen“.
Nächstes Projekt: Lehmwand
Alle schaffen’s zwar nicht, aber die Chancen sind da. „Irgendwann muss man den Motor ja wieder anschmeißen“, sagt eine andere Frau, die ebenfalls eine ziemlich lange Reise hinter sich hat. Der Gedanke, gebraucht zu werden und nützlich zu sein, scheint auch ihr die Kraft zu verleihen, die man benötigt, um sich trotz professioneller Hilfe letztlich am eigenen Schopf aus dem Seelen-Sumpf zu ziehen.
Ritter ist zufrieden. Das nächste Projekt im Diakonissen-Garten ist übrigens eine Lehmwand. Für einen Zimmermann ein großer Spaß. Und wenn der dann noch Hilfe hat . . .
Die Arbeitstherapie zählt zu den ältesten Therapieverfahren überhaupt in der Psychiatrie und ist ein Behandlungsfeld in der Ergotherapie. Auch in den Kliniken Essen-Mitte werden Menschen mit psychischen Erkrankungen, gemessen an ihren Möglichkeiten, behutsam und schrittweise an die Grundanforderungen des Arbeitslebens herangeführt. In Einzel- oder Gruppentherapien werden einfache Arbeiten verrichtet, Umfang und Schwierigkeitsgrad fortan langsam gesteigert.
Mehr Selbstvertrauen, die Übernahme von Verantwortung, eine größere Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit, gesteigerte soziale Fähigkeiten, Teamwork oder der Umgang mit vorgegebenen Zeitfenstern sorgen in der Regel für einen deutlich strukturierteren Alltag der Patienten. Alte und neue Stärken werden geweckt, und Stück für Stück entwickelt sich der Patient im Erfolgsfall vom Behandelten zum selbstständig Handelnden.