Essen-Steele. . Tim Stöppelkamp zog eine Ausbildung in einer Steeler Schreinerei vor. Er denkt aber bereits über ein Studium nach. So wie inzwischen viele Jugendliche.

Während es draußen dämmert, kreischt in der Werkstatt die Kreissäge. Um sieben Uhr morgens startet der Tag für Tischler-Lehrling Tim Stöppelkamp. Ab dann stapeln sich statt Akten auf dem Schreibtisch die Holzplatten auf der Werkbank. Seit 2013 macht der Essener eine Ausbildung in der Schreinerei Hermanowski in Steele, im Mai steht seine Gesellenprüfung an. Mit den eigenen Händen etwas schaffen – das war wichtig für Stöppelkamp. Nach dem Abitur hatte sich der 23-Jährige an der Uni eingeschrieben. Studiengang: Bauingenieurwesen. „Ich habe mir Studieren ganz anders vorgestellt und schnell gemerkt, dass diese Art des Lernens nichts für mich ist“, erklärt er.

Damit ist er einer von wenigen Jugendlichen, die zum Werkzeug statt zum Griffel greifen. Dennoch sieht Wolfgang Dapprich von der Kreishandwerkerschaft Essen das Handwerk auf goldenem Boden. „Die Betriebe bilden gut und viel aus. Vor allem der Tischlerberuf ist bei den Jugendlichen unverändert sehr beliebt.“ Im Jahr 2015 wurden 70 junge Tischlergesellen fertig – in 2014 waren es nur 50. Nachwuchsprobleme hätten eher andere Branchen. „Fleischer, Konditoren, Bäcker, Dachdecker und metallverarbeitende Handwerke – die haben zu kämpfen.“

Und tatsächlich: An Bewerbungen mangelt es nie, sagt Günther Hermanowski. Seit 23 Jahren betreibt er die Werkstatt und hat schon viele Tischler kommen und gehen gesehen. In letzter Zeit ist er aber nur mit wenigen Zöglingen zufrieden: „Nach Tim haben wir ein Jahr lang keinen neuen Azubi eingestellt – aus Mangel an guten Bewerbern.“

Dabei sind die Anwärter bunt gemischt, erklärt Michael Kinzler von der Bundesagentur für Arbeit. Ob Haupt- oder Realschüler, Gymnasiast oder Studienabbrecher – im Handwerk ist jeder seines Glückes Schmied. „Im Vordergrund steht das Interesse, nicht der Abschluss.“ Etwas mehr als Neugier sollten die angehenden Handwerker aber doch mitbringen. „Prozentrechnen und Dreisatz für die Berufsschule, Pünktlichkeit und gepflegtes Aussehen für das Leben“, meint Hermanowski. „Wer wissbegierig und aufmerksam ist, kann damit auch schlechte Noten weghobeln.“

Drecksarbeit gehört dazu

Mehr Studien- als Ausbildungsanfänger

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung begannen 2013 erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine Berufsausbildung. Setzt sich der Trend der vergangenen zehn Jahre fort, wird es 2030 nur noch rund 400 000 neue Azubis geben – ein Rückgang um 17 Prozent.

Das schlägt sich auch in den Tischlerbetrieben nieder. Die Zahl der Lehrlinge in NRW hat sich in den vergangenen 15 Jahren von 8300 auf 4800 beinahe halbiert.

Wolfgang Dapprich weiß, dass viele junge Leute falsche Vorstellungen von der Ausbildung haben – denn auch die „Drecksarbeit“ gehöre dazu. Aber wer sich darauf einlässt, meint Dapprich, findet schöne Berufe mit Perspektive – für Indianer und Häuptlinge: „Man kann als Geselle arbeiten oder seinen Meister machen und selbstständig werden.“

Tim Stöppelkamp zieht es dennoch wieder auf die Schulbank – für ein Studium in Holztechnik. Die Ausbildung bereut der 23-Jährige trotzdem nicht. „Andere gehen ins Ausland oder machen ein freiwilliges soziales Jahr – ich bin Tischler geworden und habe mich darin gefunden.“