Essen-Byfang. . Mehr und mehr entert das einst so scheue Tier Gärten und frisst sich satt. Gerne mit Rosenknospen und Stiefmütterchen.

Raubtiere in Essen? So weit ist es noch nicht, gleichwohl: Fast alle, die ländlich leben, wie das etwa in Byfang ja nicht wirklich ungewöhnlich ist, haben just in diesem Jahr auch fast ein und dieselbe Beobachtung gemacht. Das Reh an sich hat seine Scheu irgendwie im Wald gelassen, macht es sich mittlerweile in den Gärten gemütlich und bringt dort sogar den Nachwuchs zur Welt, während die Menschen drinnen wahrscheinlich gerade „Bambi“ oder Eckart von Hirschhausen im Fernsehen schauen . . .

Der Grund liegt auf der Hand, ist aber auch angepflanzt und eingepottet. Soll heißen: Die „Biester“ fressen den Menschen zwar nicht die Haare vom Kopf, dafür aber Beete kahl und Blumenkübel leer.

Am Fahrenberg etwa, dieser Straße, die, wie der Name vermuten lässt, etwas höher liegt als vieles andere. Dort leben Ur-Byfanger wie etwa wie Luise Kohlrusch („hier in diesem Haus wurde ich vor fast 80 Jahren auch geboren“) mit ihrem Hermann, zur Linken Horst Strucksberg und rechts Jürgen Mann. Sie alle verstehen sich prächtig, sie alle eint zudem diese fast unwiderstehliche Leidenschaft für ihre Gärten, die, für Byfang ebenfalls nicht so ungewöhnlich, groß sind wie ein Fußballplatz. Jeweils.

„Früher, da hatte ich hier etwa Blumen fast ohne Ende“, sagt etwa Hermann Kohlrusch mit Blick auf einen zwar fein gehackten, aber doch auch fast traurig unbepflanzten Streifen Land. Und auch die Nachbarn haben im Laufe der Jahre mehr und mehr Gewächse aussortiert. Denn das Reh an sich ist nicht nur nicht mehr so scheu, das Reh an sich ist auch ein schlaues Tier, zumindest das in Byfang.

Wenn die Tische in den Gärten der Menschen reich gedeckt sind und das Tier die freie Auswahl hat, wird es gleich zum Feinschmecker. Tomaten? Luise Kohlriusch winkt ab. „Da geh’n die nicht dran. Aber sie fressen liebend gerne Mangold. Im Gegensatz übrigens zu mir. Das hat meine Mama früher oft gekocht, irgendwann war ich’s wohl leid.“

Ein Renner: Mangold

Ganz oben auf des Rehs Speisezettel: Rosenknospen. Und Stiefmütterchen. Jürgen Mann: „Die stehen halt viel früher auf als wir. Bis wir bemerken, was passieren könnte, ist längst alles passiert.“ Aber auch der 72-Jährige nimmt’s mit einem Augenzwinkern. „Letztlich sind wir natürlich auch froh, dass so schöne Tiere hier in freier Wildbahn leben.“

Horst Strucksberg, der Nachbar zur Linken also, ist da schon ungehaltener, etwas zumindest. „Wenn ich etwas anpotte, dann möchte ich natürlich auch was davon haben.“ Und doch: Als ein weiterer Nachbar neulich Zeuge wurde, wie in seinem Garten zwei Kitze geboren wurden, da waren sie am Fahrenberg schon auch irgendwie gerührt.

Wenn die Tiere wieder mal selbst akribisch ausgelegte Schutznetze anheben oder geschickt deren Maschen zerbeißen, um etwa an eine fette Zucchini zu kommen, ist der Ärger zwar da, verraucht aber auch schnell wieder. Denn am Ende eines jeden Gartentages bleibt immer noch mehr als genug für alle. „Hab schon Kartoffeln ausgemacht, und bald sind die dicken Bohnen soweit.“ Jürgen Mann reibt sich genüsslich die Hände, Erdbeeren aber pflanzt er schon lange nicht mehr.

Bauern, hat Kohlrusch gehört, bekämen von den Jagdpächtern Entschädigungen, wenn Wild durch die Felder wildert. „Ob das auch für abgefressene Pflanzen in Privatgärten gilt?“ Unwahrscheinlich. Aber auch nicht entscheidend, denn am Fahrenberg, da mögen sie in der Regel die Rehe, die Füchse und natürlich die Eichhörnchen, „die oft auf dem Rasen Männekes machen“. Dass irgendwann der Wolf zurückkehrt, brauchen sie aber nicht. „Omma ist außerdem schon tot . . .“