Essen-Kray. . Dienst ist Dienst und Guss ist Guss. Nach 128 Jahren wird die Hauptwasserleitung an der Wattenscheider Straße nun abgebaut – obwohl sie noch ganz dicht ist. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt dazu Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun.

128 Dienstjahre, das ist schon eine Menge Holz. So viele hatten selbst Fußballer Charly Körbel und der erste VW Käfer zusammen nicht auf dem Buckel, obwohl der eine eine halbe Ewigkeit und in 602 Einsätzen für Eintracht Frankfurt am Ball war, und der andere bereits 1938 vom Band lief.

Aber es gibt Dinge, die machen manchmal wirklich so lange. Die berühmte Riesenschildkröte „Jopi“ etwa soll weit über 100 geworden sein, und manche der Essener Hauptwasserleitungen sogar noch viel älter. Diese im ausgehenden 19. Jahrhundert noch aus Guss gefertigten und von den Trupps der an der Unionstraße im Nordviertel ansässigen Gas- und Wasserwerke mit Geduld, Muskelschmalz und noch mehr Spucke verlegten Versorgungsarme, die die Haushalte der Menschen mit Wasser speisten.

Der Deutsche arbeitet 36,8 Jahre

Das Arbeitsleben eines Deutschen dauert 36,8 Jahre, haben Statistiker der Europäischen Union errechnet. Eine Zahl, über die die Hauptwasserleitung in der Wattenscheider Straße in Leithe sicherlich nur schmunzeln würde, wenn sie’s denn könnte. Denn die, haben die Stadtwerke nun wiederum festgestellt, ist Baujahr 1886, zwar immer noch dicht, „muss aber nun doch nach und nach ausgetauscht werden, bevor irgendwann größerer Schaden entsteht“, so Dirk Pomplun und Christoph Hagebeucker von den Stadtwerken.

1886, kein wirklich aufregendes Jahr. Und doch: Ein gewisser Carl Benz meldet im Januar ein Patent für sein Automobil an – die Geburtsstunde eines späteren Massenverkehrsmittels, das die Welt verändert. 1886 ist aber auch das Jahr, in dem die Bürgermeisterei Stoppenberg eine neue Hauptwasserleitung erhält, die mehrere kernige Arbeiter der Gas- und Wasserwerke im boomenden Kohlerevier an der Ruhr für die wachsende Bevölkerung verlegen.

128 Jahre später stehen an der gleichen Stelle in der Wattenscheider Straße nun erneut mehrere Arbeiter. Wenn alles klappt, werden sie das „alte Möhrchen“ bis zum nächsten Herbst nach und nach vom Netz genommen und parallel durch ein modernes Versorgungssystem aus Stahl ersetzt haben. „Erst wenn die neue Leitung fertig ist, wird die alte endgültig abgeklemmt“, so Pomplun. „Das geht dann in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen und bedeutet für die Kundschaft kaum Unannehmlichkeiten.“

Über allem steht die Versorgung mit frischem Trinkwasser. Und diesen Zweck hat auch die alte Gussleitung über die Jahrzehnte erfüllt – trotz aller Innovationen und Veränderungen. Hagebeucker: „Dass die Leitung mit einem Innendurchmesser von 30 bis 40 Zentimetern in Leithe so lange so zuverlässige Dienste leisten konnte, ist kein Zufall.“ Insgesamt betreiben die Stadtwerke in Essen zwischen 1600 und 1700 Kilometer Wasserleitungen, und noch gibt es einige Straßen, in denen Leitungen oder Kanäle aus dem Kaiserreich liegen.

1600 bis 1700 Kilometer Leitung

Pomplun: „Das Alter beeinträchtigt die Wasserqualität aber nicht. Im Gegenteil: Durch die hohe Materialqualität und unsere kontinuierlichen Kontrollen seit Jahrzehnten ist es häufig weder nötig noch wirtschaftlich sinnvoll, die alten Leitungen und Kanäle vorzeitig auszutauschen.“ Obwohl: Alles ist endlich. Irgendwann musste ja auch Charly Körbel die Schuhe an den Nagel hängen . . .

Insgesamt wird zwischen der Krayer Straße und „Am Isinger Bach“ in offener Bauweise rund ein Leitungskilometer neu verlegt. Daneben werden auch 52 Hausanschlüsse an die neuen Leitungen angeschlossen. Die Hausbesitzer wurden bereits im Vorfeld informiert. Für die Dauer der Arbeiten wird die Wattenscheider Straße für etwa acht Monate für den Durchgangsverkehr gesperrt. Die Umleitung erfolgt dabei über die Krayer Straße sowie den Korthover Weg. Anlieger können aber weiterhin zu ihren Häusern und Wohnungen vorfahren.