Essen-Vogelheim. Mit dem Kirchturm fällt der letzte Gebäudeteil. Glocken und Hahn der Vogelheimer Kirche Thomas Morus wurden vorher abmontiert.
Besonders schön war sie nicht, die Kirche St. Thomas Morus in Vogelheim. Doch sie war seit 1952 für viele Vogelheimer Katholiken Heimat. Von der mussten sie sich jetzt verabschieden: Im vergangenen Herbst wurde hier die letzte Messe gefeiert, jetzt fällt mit dem Kirchturm das letzte erkennbare steinerne Zeugnis der katholischen Gemeinde.
Kirchenabrisse sind immer emotional. Denn es ist mehr als ein Gebäude, das in Schutt und Asche gelegt wird. „Es ist ein Stück meiner Geschichte, das hier unwiderruflich verschwindet. Hier habe ich geheiratet, hier wurden meine fünf Kinder getauft, gingen zur Kommunion“, sagt Karl-Heinz Kirchner und klingt dabei ganz melancholisch.
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Der Aluminiumhahn wurde von der Essener Leichtmetallgesellschaft LMG gespendet
Der Vogelheimer steht mit anderen Anwohnern am Bauzaun und schaut zu, wie gerade der große Aluminiumhahn gen Erde schwebt. Seit 1973 drehte er sich auf dem schlichten Kirchturm im Wind. „Damals hatte die Leichtmetallgesellschaft LMG, die Vorgängerin von Trimet, den Hahn gespendet“, erinnert sich Klaus-Dieter Pfahl. Der 78-Jährige war damals Vorarbeiter bei der LMG und hat die Schenkung an die St. Thomas Gemeinde mit initiiert. Auch er ist an diesem Morgen an die Vogelheimer Straße gekommen, um einen letzten Blick auf den Kirchturm zu werfen.
Nur noch ein Schutthaufen ist mittlerweile das Kirchengebäude, von den drei Pfarrhäusern, die auch auf dem Gelände standen, ist keine Spur mehr vorhanden. „Für mich ist das der zehnte Kirchenabriss“, sagt der Abbruchunternehmer Mathias Heerman, „und das, obwohl ich aus dem katholischen Münsterland komme“. Auch für sein Unternehmen sei es immer etwas Besonderes, ein Gotteshaus dem Erdboden gleich zu machen.
Die beiden Glocken stammen aus Ostpreußen
Schon früh am Morgen wurde der lange Spezialkran ausgefahren, um die beiden Glocken vorsichtig abzunehmen. „Die Glocken haben wir 1952 für den Bau der Kirche aus Hamburg als Leihgabe bekommen. Sie stammen ursprünglich aus Ostpreußen, eine aus Danzig“, sagt Rüdiger Rehm vom Kirchenvorstand der Großgemeinde St. Dionysius, zu der auch die Vogelheimer Kirche gehörte. Damals habe man ihnen die Glocken mit der Aufforderung gegeben, gut darauf aufzupassen. „Wir werden sie natürlich nicht einschmelzen, sondern weiter benutzen“, verspricht Rehn. Die kleinere der beiden Glocken wird als Anschlagglocke in der Borbecker St. Dionysius Kirche verbleiben, für die größere muss erst noch eine Verwendung gefunden werden.
Was mit dem Hahn geschehen wird, ist noch nicht klar. „Eigentlich sollte der in Vogelheim sichtbar für alle bleiben und über uns wachen“, sagt Karl-Heinz Kirchner. Doch dieser Vorschlag sei nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. „Die Kirche hat Vogelheim aufgegeben, wir fühlen uns, als wenn man uns fallengelassen hätte“, fasst er seine Emotionen in Worte. Wolfgang Grahe, der neben ihm steht, nickt zustimmend. Auch er verbindet viele Erinnerungen mit dem Gotteshaus, ist in der Gemeinde groß geworden.
Zuletzt kamen nur noch 50 Gläubige zu den Gottesdiensten
Als er zum ersten Mal in die Kirche St. Thomas Morus ging, da waren die Bänke noch voll. 500 Gläubige fanden hier Platz, überwiegend katholische Bergleute und ihre Familien. Denn 1952, im Jahr der Erbauung, und sieben Jahre nach dem Ende der Zweiten Weltkrieges, war das Bedürfnis der Menschen nach Gebet und Seelsorge, nach Gemeinschaft groß. Viele Gotteshäuser waren zerstört, deswegen musste man zügig neue bauen. Material war teuer, die Gemeinde arm, also wurde St. Thomas Morus aus Trümmersteinen nach den Plänen des Essener Architekten Martin Schoenmakers errichtet. Er wählte die zu seiner Zeit gängige Form eines einfachen und stützenfreien Saales, in dem die ortsansässige Gemeinde in zwei langen Bankkolonnen wie auf dem Weg zum Ziel Halt machte.
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Mit dem Ende des Bergbaus wurde die Kirche von immer weniger Gläubigen besucht, bis es zuletzt nur noch etwa 50 Kirchgänger waren. Und so fiel der Entschluss, die Kirche zu profanieren und abzureißen. Das Grundstück wurde verkauft, der Erlös kommt der Gemeinde zugute. „Der wird dringend gebraucht, um andere Standorte und Projekte zu entwickeln. Wir müssen drei historische Kirchen erhalten. Und für die Gemeinde müssen wir auch etwas schaffen“, sagt Rüdiger Rehm.
21 Reihenhäuser werden hier gebaut
Den Zuschlag bekam die Wohnungseigentümer-Gemeinschaft Deutsche Reihenhaus. Sie wird hier 21 Reihenhäuser bauen, die im Karree angeordnet sind. „Alle Häuser sind bereits verkauft, die meisten an Vogelheimer Familien“, sagt Achim Behn, Sprecher der Deutsche Reihenhaus. Darunter auch einige, die in St. Thomas Morus getauft wurden.
Die Gottesdienste finden seit vergangenem Jahr bereits nebenan im evangelischen Markushaus statt. Die evangelische Kirche soll laut Bistum nicht nur Ausweichquartier für die Katholiken sein, sondern ein echtes ökumenisches Zentrum werden. Für Wolfgang Grahe ist das nur ein schwacher Trost. „Unsere Gemeinde ist mit dem Ende der Kirche kaputt und verstreut“, lautet sein bitteres Fazit.
Häuser sollen Mitte 2020 bezugsfertig sein
Der komplette Abriss der Kirche soll spätestens Ende Januar abgeschlossen sein.
Danach wird der Kampfmittelräumdienst das Gelände auf explosive Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg untersuchen.
Laut Planung der Deutsche Reihenhaus sollen die 21 Einfamilienhäuser in Fertigbauweise errichtet werden und bereits Mitte des nächsten Jahres bezogen werden können.