Essen-Katernberg. Familie Britz lebt gefährlich. Unlängst brach ein Kleintransporter durch die Hecke ihres Hauses am Sterntalerweg – nicht zum ersten Mal.
Ein Kleintransporter rast gegen 23 Uhr in hohem Tempo die Straße entlang, dann quietschen Reifen und Sekunden später pflügt der weiße VW durch eine mannshohe Hecke eines Einfamilienhauses, reißt zwei Zäune nieder und kommt schließlich kurz vor der Gartenterrasse zum Stehen. Der Fahrer flüchtet zu Fuß, die Anwohner stehen unter Schock. Was wie eine Szene aus einem spannungsgeladenen Actionfilm anmutet, ist für Familie Britz bittere Realität – und dies nicht zum ersten Mal.
Rainer Britz (59) lebt mit seiner Familie seit 15 Jahren in Katernberg. „Eine Lebensentscheidung“, wie er sagt. Hier baute er damals sein Haus am Sterntalerweg, hier wollte er in Frieden leben und später auch seinen Lebensabend verbringen. Die kleine Stichstraße mündet in den verkehrsberuhigten Bolsterbaum, der ein Wohngebiet von Einfamilien- und Reihenhäusern vom einigen Mehrfamilienhäusern gegenüber trennt. Eine ruhige Wohnlage, sollte man meinen, doch der erste Eindruck täuscht.
Kreuzung nahe des Sterntalerwegs wird gerne zum „Driften“ benutzt
In den Bolsterbaum münden von der Zollvereinstraße aus gesehen noch weitere kleine Straßen, die so malerische Namen wie Sandmannweg, Zauberwald und Wunschbrunnen tragen. An allen drei Einfahrten zum Bolsterbaum – dort gilt Tempo 30 – brachte die Stadt plateauartige Bremsschwellen an. Eine verkehrsregulierende Baumaßnahme, die dem nachfolgenden Sonnenweg und auch dem Sterntalerweg fehlt. „Dennoch gelten beide Straßen als verkehrsberuhigt“, erklärt Rainer Britz.
Warum dies so ist, weiß Rainer Britz nicht zu sagen. Fakt ist jedoch, dass Autofahrer oft und gerne nach der dritten Bremsschwelle aufs Gas steigen und das Tempolimit zum Teil deutlich überschreiten. Gefahr droht jedoch auch von der Gegenrichtung. Kurz hinter der Einmündung zum Sterntalerweg befindet sich einen T-förmige Kreuzung vom Farrenbroich in den Bolsterbaum. Eine Kurve, die von Autofahrern gerne, wie es Rainer Britz beschreibt, zum „Driften“ genutzt wird. So auch an jenem verhängnisvollen Abend, als der VW-Transporter aus der Kurve getragen wurde und praktisch geradeaus in das Grundstück der Familie Britz donnerte.
Der Unfall ist kein Einzelfall: Dreimal wurde bereits Anzeige erstattet
Und dies ist kein Einzelfall: Schon dreimal haben die Britz’ Unfälle dieser Art als direkte Leidtragende bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Das erste Mal vom 2. auf den 3. Dezember 2016, als die Hecke auf einer Länge von vier Metern umgemäht wurde, der Fahrer aber unerkannt flüchten konnte, wie Rainer Britz sagt. Fast auf den Tag genau ein Jahr später, am 8. Dezember, bohrte sich ein Mercedes durch Hecke und Zäune. „Der Pkw stand bis zur Hälfte in meinem Garten, doch der Fahrer setzte zurück, riss sich dabei jedoch das Nummernschild ab“, erzählt seine Frau Ulrike (53). So konnte der Schuldige schnell ermittelt werden.“
Bis zum dritten, den wahrscheinlich schwersten Unfall dieser Art Anfang September ereigneten sich immer wieder kleinere Unfälle. „Doch weil sich der Schaden im Rahmen hielt, aber wir diese gar nicht mehr angezeigt“, sagt Rainer Britz. „Wir waren es irgendwann leid, immer die Polizei rufen zu müssen und das ganze Prozedere der Spurensicherung über uns ergehen lassen zu müssen. Wir waren einfach froh, auch mal eher glimpflich davongekommen zu sein.“ Ein Versäumnis, dass er heute bereut: „Wenn alle diese Schadensfälle bekannt worden wären, wäre hier vielleicht schon etwas passiert, um die Situation zu entschärfen.“ Auch deshalb man sich nun auch dazu entschieden, die Sache öffentlich zu machen.
Die Situation wird durch den neuen Parkplatz an der Meerbruchstraße schlimmer
Auch deshalb, weil sich die Lage vor Ort, so Britz’ Eindruck, seit dem letzten Jahr noch verschlimmert habe: Die anliegende Sportanlage an der Meerbruchstraße, wo die Fußballer der DJK SF Katernberg 13/19 zu Hause sind, wurde nach der Fusion des Vereins um einen weiteren Parkplatz am Bolsterbaum erweitert. Seitdem habe das rücksichtslose Fahren in der Straße zugenommen, klagen die Britz’. „Der Publikumsverkehr hat eben seitdem deutlich zugenommen“, sagt Ulrike Britz. Die Sportler kommen alle an unserem Haus vorbei. Und oft sind auch Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Auch, weil sich im hinteren Teil des Bolsterbaums ein beliebter Fahrradweg anschließt. „So gesehen ist es wohl pures Glück, dass bislang noch keine Person zu Schaden kam“, sagt Rainer Britz.
Unfallschwerpunkt
Die Kreuzung Farrenbroich und Bolsterbaum ist der Polizei nicht als Unfallschwerpunkt bekannt.
Ein solcher wird durch einen Landeserlass klar definiert: Es müssen vor Ort mindestens drei Unfälle eines gleich gelagerten Unfalltyps mit entsprechend schweren Unfallfolgen (zum Beispiel erheblicher Sachschaden) binnen eines Jahres auftreten. Erst dann spricht man von einer Unfallhäufungsstelle, die abschließend durch die Polizei benannt wird.
Wird eine solche Unfallhäufungsstelle bekannt, wird sie durch eine örtliche Unfallkommission begutachtet. Diese Unfallkommission besteht aus fachkundigen Mitgliedern der Verwaltung und der Polizei. Sollten bei dieser Begutachtung Mängel auffallen, trifft die Unfallkommission Beschlüsse, um diese Mängel dauerhaft zu beseitigen, zum Beispiel durch eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit.
Mit der Ruhe am Sterntalerweg ist es jedenfalls endgültig vorbei: „Es kommt häufig vor, dass man erst ein lautes und näher kommendes Motorengeräusch vernimmt, was dann schnell verstummt und durch quietschende Reifen übertönt wird“, sagt Sebastian Britz, der Sohn, der den jüngsten Unfall gemeinsam mit seiner Freundin hautnah miterleben musste. „Und jedes Mal aufs Neue denkt man sich: „Bitte nicht schon wieder…“.
Eine Straßenaufpflasterung könnte die Kreuzung Farrenbroich/Bolsterbaum entschärfen
In der Familie denkt man nun laut über mögliche Auswege aus der Misere nach. „Eine Straßenaufpflasterung wie an den unteren Stichstraßen zum Bolsterbaum könnte helfen“, mutmaßt Rainer Britz. Dass diese damals nicht etabliert wurde, hatte wohl Gründe: „Als wir damals hier gebaut haben, hieß es von der Stadt, dafür sei kein Geld mehr da.“ Auch über eine massive Mauer rund um seinen Garten denkt Rainer Britz mittlerweile nach. „Doch ich möchte mir gar nicht vorstellen, wenn dann jemand mit hoher Geschwindigkeit vor die Mauer kracht.“ Eines ist jedoch sicher: „Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher“, sagt Ulrike Britz, die sich nun in einem Brief direkt an Oberbürgermeister Kufen wenden will.
Zumal die Stadt derzeit noch keinen Handlungsbedarf sieht. „Uns war der Fall bislang unbekannt“, erklärt ein Stadtsprecher. „Zudem ist dem Amt für Straßen und Verkehr dort auch keine Unfallhäufung bekannt.“ Doch diese sei notwendig, damit eine örtliche Unfallkommission sich des Falls annehmen könnte, um eventuell entdeckte Mängel dauerhaft zu beseitigen. Bislang geht die Stadt davon aus, dass es sich bei den Unfällen um individuelle Fahrfehler handle oder schlichtweg um Missachtung von Verkehrsvorschriften wie das Tempo-30-Limit vor Ort.
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Ein wenig Hoffnung macht da die Aussage der Polizei: „Ich kann die Angst der Anwohner durchaus nachvollziehen, auch wenn es sich hier nicht um einen regulären Unfallschwerpunkt handelt“, sagt Polizeisprecher Christoph Wickhorst. Künftig wolle man im Rahmen der regulären Dienstzeiten stichpunktartige Kontrollen vor Ort durchführen und den Bereich im Auge behalten. „Und unsere Kollegen sind auch schon mal nachts unterwegs.“