Bedingrade. .
„Vom Kanalbau ist hier nichts mehr zu sehen. Hier ist wieder alles ruhig und idyllisch. Über den Löchern ist doch längst Gras gewachsen.“ Die Reiterin und ihr Pferd kennen das Hexbachtal wie ihre Westentasche. Sie sind dort fast jeden Tag zwischen Wiesen und Bäumen unterwegs. Nicht nur Anlieger schätzen das beliebte Naherholungsgebiet im Städtedreieck Essen-Mülheim-Oberhausen. Bei vielen Stadtbewohnern gilt die Landschaft am Hexbach als Geheimtipp. Sie parken ihr Auto gern an der „Talschenke“, um von dort aus zu Fuß eine Runde durchs Grüne zu drehen.
Viele Anlieger und Umweltschützer sehen „ihre“ Idylle in Gefahr, als die Stadtwerke Essen erste Pläne für eine Abwasserkanaltrasse unter dem Hexbachtal vorstellen. Bagger reißen einen langen Graben durch die Landschaft, Fachleute verlegen darin die mannshohen Abwasserrohre, verfüllen die Bauschlucht wieder und ordnen die Gegend. Die Ruhe weicht zahlreichen Diskussionen unter den Spaziergängern. Landschaftsschützer machen Anlieger und Ortspolitiker mobil und sensibel für den Erhalt des Grüns. Das Kanalbauprojekt bleibt vorerst am Rande des Grünzugs stecken.
Dabei ist bei vielen Anwohnern unstrittig: Die kleinen Abwasserkanäle, die das Hexbachtal durchziehen, sind zu klein und teilweise marode. An manchen Stellen treten die Abwässer aus den Lecks zu Tage. Und die Wohnsiedlungen, die das Tal umgeben, wachsen weiter. Auch zwischen Frintroper Straße und Im Fatloh entstehen noch Neubauten. Anlieger der Bedingrader Straße stehen bei heftigen Regenfällen in gefluteten Kellern. „Bei mir schwimmen gerade wieder die Waschmaschine, Kartoffeln, Gartenmöbel und Wintersachen durch den Keller“, ruft einer damals diese Zeitung an.
Aufgequollene Möbel und viel Schlamm bleiben nach der Flut zurück. Die Kanäle sind für diese Wassermengen zu klein, wissen auch die Experten der Stadtwerke. Aber so schnell, wie Hausbesitzer mit nassen Kellern in Bedingrade jetzt dicke Abflussrohre fordern, klappt deren Einbau nicht. Neben dem Abwasserdruck spüren die Bauingenieure der Stadtwerke auch politischen Druck. Danach steht fest: Die ersten Pläne von 1986 zum Kanalneubau im Hexbachtal ziehen nicht mehr. „Ein offener Graben beschädigt dauerhaft die Natur des wichtigen Grünzuges“ an der Stadtgrenze, argumentieren Gegner dieser Bauwiese. Obwohl günstiger, ist in den politischen Gremien dafür die Mehrheit dahin geflossen. Auch Oberhausener lehnen den Einschnitt ab, während aus Mülheim kaum Proteste zu hören sind.
Die Bauingenieure denken und planen neu: Um das Projekt endlich zu verwirklichen, ist unterirdisches Durchdrücken entlang des Bachlaufes angesagt. Das kostet zwar einige Millionen Euro mehr, aber die Ratsmitglieder stimmen zu. „Umweltschutz hat in der Stadt doch einen Stellenwert“, freuen sich die Grünen. „Da wird zu Lasten aller Abwasserkunden für wenige Naturfreunde ein überteuerter Kanal gebaut“, fürchten Bewohner anderer Stadtteile steigende Abwassergebühren.
Statt eines rund zweieinhalb Kilometer langen Grabens im Grünen sollen es nur noch drei so genannte Pressschächte sein, über welche die Rohrstücke zum Vorpressen hinunter gelassen werden und der Abraum nach oben gefördert wird. Landschafts- und Umweltingenieure aus Dortmund beraten die Fachleute der Stadtwerke, sind häufig auf der Baustelle und regeln, dass schwere Bagger die Natur nur so gering wie möglich belasten. „Das war für uns alle eine neue Erfahrung, aber auch eine Herausforderung“, blickt Hans-Georg Gottschol, Bauleiter der Stadtwerke vor Ort, zurück. Vorteil für die Natur sei: Das Press-Verfahren laufe unterirdisch ab, die Oberfläche über den Rohren bleibe unberührt. Jörg Geske, Projektplaner bei den Stadtwerken, ist überzeugt von dieser Bauweise: „Damit konnten wir grobe Eingriffe in die Natur verhindern und für das Hexbachtal sogar eine deutliche und nachhaltige Verbesserung der Landschaftsökologie erreichen.“
Während der Bauarbeiten beobachten Talanlieger, Umweltschützer und Spaziergänger sehr genau, was im Hexbachtal passiert. Sie beschweren sich sofort, weil Baggerketten Grasflächen oder Wege in breite Schlammspuren verwandelt haben. Sie honorieren auch, dass die „Männer auf der Baustelle vorsichtig mit der Natur umgehen“. „Das gefiel einem seltenen Eisvogel wohl besonders gut“, erinnert sich Hans-Georg Gottschol. „Das Pärchen hat sich direkt neben unserer Pressgrube bei den Forellenteichen eingenistet und dort seinen Nachwuchs großgezogen.“
Neue Bäume, Hecken und Gräser haben Gärtner nach Abschluss des Kanalbaus gepflanzt, Teiche angelegt und ein Regenrückhaltebecken erstellt. Offen in die Landschaft integriert, wirkt das Becken bei starkem Regen entlastend, indem das Wasser von dort über den Boden in den Bach geleitet und dadurch auf natürliche Weise gefiltert wird. Die Landschaft bekommt das Regenwasser direkt wieder zurück, kann es speichern und frisches Grün sprießen lassen.
Neue Bänke, Fuß- und Reitwege durchziehen heute das Hexbachtal. Vom Kanalbau sind nur noch einige Deckel über den Wartungsschächten in der Wiese zu erkennen.