Borbeck. .
Als er geboren wurde, am 24. Juni des Jahrers 1911, da regierte noch Kaiser Wilhelm, der II. Er kann sich an Dinge erinnern, die andere nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Morgen vollendet der Stoppenberger Heinrich Homann sein 100. Lebensjahr. Wir gratulieren.
Zur Begrüßung hat der rüstige Senior gleich einen Scherz auf den Lippen: „Werde ich jetzt auf meine alten Tage noch berühmt“, fragt er und lacht. Unser Gespräch führen wir in seiner Wohnung in Borbeck. Was nicht selbstverständlich ist, denn Menschen seines Alters leben selten allein. Die Wohnung ist gut in Schuss, „und das ohne Haushälterin“, wie er betont. Okay, gegessen wird mittags bei einer freundlichen Nachbarin, „aber den Rest mache ich schon allein.“
Nötigt dies allein schon Respekt ab, soll nicht unerwähnt bleiben, dass der agile Heinrich – Freunde sagen aber nur Heinz – im zweiten Stock des Hauses wohnt. Die 50 Treppenstufen bis zur Haustür überwindet er täglich mehrmals. „Ich muss ja schließlich auch mal etwas einkaufen.“ Und sein Tag habe eben auch 24 Stunden. „Die muss ich ja irgendwie rumkriegen.“
100 Lenze auf dem schmalen Buckel. So viel Leben. „Als ich geboren wurde, war Steinzeit“, erinnert er sich. Was wörtlich zu nehmen ist, denn „es gab ja noch nichts.“ Die Abende seiner Kindheit verbrachte er im dämmrigen Licht von Karbid- und Petroleumlampe. Seine Hausaufgaben machte er bei warmen Kerzenschein. „Strom hat es erst 1920 gegeben“, sagt er. „Nach dem ersten Weltkrieg.“ Da war Heinrich Homann schon 18 Jahre alt. Die Stadt war natürlich zuerst elektrisiert, „aber direkt vor meinem Fenster stand eine Straßenlaterne. Das war praktisch.“
Gelernt hat er Kaufmann. Seinen ersten Job bekam er bei „Ferrostaal“ in Essen, wie viele damals. Später dann der Wechsel zu Krupp-Wohnungsbau, wo er 1974 in den verdienten Ruhestand ging. Zu diesem Zeitpunkt begann er, sich mit der Ahnenforschung zu beschäftigen. „Allein drei Jahre lang habe ich gebraucht, um den Wurzeln meiner eigenen Familie auf die Spur zu kommen“, sagt Homann. Bis 1676 hat er in die Vergangenheit geblickt, dann wurde es schwierig, „weil die Kirchen vorher kaum etwas aufgezeichnet haben.“ Noch heute gehört er dem Verein für „Familienfindung“ an. In seinem Computer schlummern weit über sechs Millionen Namen. In knapp 40 Jahren kommt eben einiges zusammen.
Apropos Familie. Sein Vater, Wilhelm Aloys, hatte 1903 die Bauernwitwe Franziska, eine geborene Indenkämpen aus Stoppenberg, geheiratet. Neun Geschwister hat Homann: Drei Schwestern, von denen heute nur noch eine lebt, und sechs Brüder – drei davon blieben im Krieg. Homann selbst diente bei der Luftwaffe und sagt heute: „Ich habe eigentlich immer Glück gehabt im Leben. Ich hätte ja auch damals fallen können.“
Ein Jahrhundert auf Gottes Erdboden. Viele halten dies für ein wahrhaft biblisches Alter. Was denn sein Geheimnis, sein Rezept sei. „Es gibt keines“, sagt er. Natürlich habe er immer Sport getrieben, schon seit dem sechsten Lebensjahr. Faustball und Leichtathletik, was man so machte. Noch heute ist er Mitglied beim TuS 84/10, dem er seit 1962 angehört. Dort war er am Aufbau des Seniorensports beteiligt. Bis sein Arzt ihm sagte: „So, Herr Homann, das lassen wir jetzt mal bleiben. Da war der Heinz schon 85 Jahre alt. Ach so: Alkohol getrunken habe er nie sehr viel, fällt ihm ein. „Als ich jung war, kostete das Bier 15 Pfennig. Doch selbst das hatten wir damals nicht.“
Heute kegelt er noch immer aktiv. Aber sein Team dünnt sich aus. Auch seine Freunde und Bekannten hat er alle überlebt. Da wird der fröhliche Heinz Homann kurz mal ernst: „Die ,Weißt-Du-Noch-Gespräche’ fehlen mir heute. Ich kann keine Erinnerungen mehr teilen. Man lebt, weil man lebt. So ist das im Alter.“
Gefeiert wird am Sonntag, beim jüngsten seiner drei Söhne. Was er sich wünscht? „Neue Beine“, sagt er. Da hat der Heinz seinen Humor schon wiedergefunden.