Essen-Steele. . Vor 70 Jahren begann Hans Liebwerth seine Laufbahn, noch heute ist der 84-jährige Ehrenobermeister aktiv im Geschäft.

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“? Oft sicher richtig, in Stein gemeißelt jedoch ist auch dieses wahrlich überaus geflügelte Wort keineswegs. Beispiel gefällig?

Vor 70 Jahren, da begann Hans Liebwerth seine Ausbildung zum Friseur, vor 60 Jahren, da absolvierte er die Meisterprüfung. Soweit, so normal. Was den heute 84-Jährigen aber nahezu unvergleichlich macht: Der Mann ist immer noch aktiv und auch immer noch offen für Neuigkeiten und natürlich die Wünsche seiner Kundschaft. Müsste also heißen: „ . . . lernt Hans immer mehr“.

Jahrgang 1932, Klein-Hans bekommt die gruseligste Zeit der Welt hautnah mit. Er wird geboren in Katernberg und verbringt dort die ersten Jahre seiner Kindheit. Als der Krieg jedoch auch Essen mehr und mehr zu Leibe rückt, wird es der Familie Liebwerth zu heiß. Man packt eilig ein paar Sachen zusammen und landet in Altenbach, einem kleinen Nest im Oberbergischen. Wo wenig los ist, aber Bomben zum Glück eher selten bis gar nicht fallen. So überstehen die Liebwerths den Krieg, und kurz darauf ist Hans Liebwerth im richtigen Alter für eine Ausbildung. Gar nicht so einfach. Die Wirtschaft liegt am Boden, und da ab 1947 die ersten Kriegsgefangenen nach Hause kommen, sind Lehrstellen äußerst knapp. Ein kleiner Salon indes kann einen Lehrjungen brauchen. Hans Liebwerth greift zu, Haareschneiden, wie sich schnell herausstellt, das liegt ihm und macht vor allem Spaß.

Als er den Gesellenbrief in der Tasche hat, geht’s zurück nach Essen. Die Eltern bleiben in der Nähe von Gummersbach, der Sohnemann indes findet einen Unterschlupf „bei der Omma in Katernberg“.

Hans Liebwerth ist gut, sogar so gut, dass er sich mit 24 zur Meisterprüfung anmeldet – und alles richtig macht. Am 28. Februar 1956 verleiht ihm die Handwerkskammer Düsseldorf den Meisterbrief – der Anfang einer gar bemerkenswerten Laufbahn im Friseur-Handwerk.

Zusatzausbildung in London

Liebwerth geht nahezu auf in seinem Beruf. Haare werden immer geschnitten, also eröffnet er nach und nach mehrere Salons. Altenessen, Frohnhausen oder Steele. Vor 50 Jahren lässt er sich mit seiner Renate privat in Steele nieder, irgendwann sind es zehn Geschäfte, hat er etwa 60 Lehrlinge ausgebildet.

Die Menschen mögen Liebwerth, vor allem seine unaufdringliche, für Friseure sogar zurückhaltende Art. Und was sie ebenfalls mögen: Hans Liebwerth beherrscht nicht nur sein Handwerk, er beherrscht auch eine Methode, die so viele nicht beherrschen. Schnell zahlt sich aus, dass er als junger Dachs mehrere Monate mit Zug und Fähre zwischen Essen und London pendelte, um die Technik des berühmten Vidal Sassoon zu erlernen. Ziemlich viel Aufwand für die damalige Zeit, Aufwand, der Liebwerth aber noch heute, Jahrzehnte später, zugute kommt.

Malteserstift St. Bonifatius

Nachdem er vor fünf Jahren den eigentlich letzten eigenen Salon am Laurentiusweg in Steele in andere Hände gab, ergab sich spontan doch noch einmal eine Möglichkeit. Als an der Selmastraße in der Innenstadt das Malteserstift St. Bonifatius eröffnete, suchten der Betreiber und letztlich auch die 120 Bewohner jemanden, der Haare schneiden kann. Liebwerth, längst Ehrenobermeister der Innung, konnte, und bietet seine feinen Dienste seitdem vor Ort an. Klassisch von dienstags bis samstags, denn der Montag ist auch sein persönlicher Feiertag.

„Ich höre erst auf, wenn ich bettlägerig werde“, flachst er. Bis dahin indes werden möglicherweise noch viele Jahre vergehen, denn die Art, wie Hans Liebwerth auch heute noch Scheren wie diese aus edlem „Damaszenerstahl“ gebraucht, beeindrucken selbst den Laien. Und Stammkunden wie die feine Dame, die eigens vom Stadtwald kommt. „Naturlocken wie meine trocken zu schneiden, das kann doch heute kaum noch jemand.“

Der „geometrische Stil“
Vidal Sassoon, englischer Friseur und Unternehmer, wurde in den 1960er Jahren weltbekannt durch die Entwicklung des „geometrischen Stils“. Zudem ließ er den „Bob“ wieder aufleben, eine in den 1920er Jahren äußerst beliebte Kurzhaarfrisur für Frauen. Auch der von der Handwerkskammer Düsseldorf mit Auszeichnungen nahezu überhäufte Essener Hans Liebwerth beherrscht diese überaus akkurate Art, Haare zu schneiden.