Essen-Karnap. . Vor zwei Wochen kamen die ersten Flüchtlinge in der Zeltstadt an. Die gestern dort angetroffenen Anwohner berichten überwiegend Positives.

Ein Satz, den man leicht missverstehen könnte: „Jetzt haben wir erst mal Ruhe hier!“ Horst-Dieter Hoffmann liegt im Erdgeschossfenster im Beisekampsfurth, blickt direkt auf das Karnaper Flüchtlingsdorf und atmet durch. Denn der wochenlange Baulärm ist endlich verklungen, und die Bewohner, die inzwischen in den großen Zelten leben, verhalten sich bisher unauffällig. „Wenn es so weitergeht, sind wir zufrieden“, sagt der 71-Jährige. „Es gibt keinen Ärger, kein Garnichts.“

Seit knapp zwei Wochen belegt die Stadt die Zeltstadt in Karnap mit Flüchtlingen. 20 bis 30 von ihnen sollen pro Tag in Karnap ankommen. Wie viele es inzwischen sind, teilt die Stadt bisher auch auf Anfrage noch nicht mit – von etwa 270 sprechen die Anwohner.

Gestern, als es dank der strahlenden Sonne fast frühlingshaft warm ist, herrscht schon fast eine entspannte Stimmung am Mathias-Stinnes-Stadion, abgesehen von den röhrenden Laubbläsern auf der Arenbergstraße.

Ausgewiesene Gegner des Zeltlagers, die sich z. B. auf Facebook auch weiterhin äußern, sind an diesem Morgen nicht anzutreffen.

Dafür Rolf Czieczor, 72 Jahre alt und davon „mehr als 30 Jahre beim RWE“. Er gibt ohne weiteres zu: „Ich bin erleichtert, dass bisher nichts passiert ist. Im Moment ist es hier ganz ruhig.“ Gut, abends fahren kleine Busse in die Straße, „als ob die Flüchtlinge ‘reingeschleust würden“, und durch die weiße Plane am Stadionzaun sehe das Flüchtlingsdorf aus „wie ein Ghetto“.

Obwohl die ersten Tage keinen Anlass zur Klage gäben, gefällt ihm die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung überhaupt nicht: „Da hat die Merkel einen Fehler gemacht. Das hier wird noch eine Ewigkeit dauern.“

Zwei Türen weiter wohnt Ulrich Stege, gegenüber vom Haupteingang des Stadions. Also ist er direkt betroffen? „Wir sind überhaupt nicht betroffen“, entgegnet er, weil seine Ehefrau Rita und er nicht voreingenommen seien. „Vor Leuten, die ich nicht kenne, habe ich keine Angst“, lautet sein Motto. Einige Bewohner des Zeltdorfes habe er allerdings schon kennengelernt. „Junge Männer haben freundlich gegrüßt und nach dem Weg zum Bahnhof gefragt.“ Von „glücklichen Augen“ ist die Rede.

Kurt Hoefig (73) sieht es ähnlich: „Man hat vorher von Schlägereien und Diebstahl gehört. Aber jetzt bin ich angenehm überrascht.“ Inzwischen parkten die Wachleute auch ihre Autos nicht mehr in der schmalen Straße, sondern auf dem Dorfgelände. Und bis auf die Lieferanten, die herunter zum Eingang rasten, könne man sich nicht beklagen.

Das macht allerdings ein Nachbar, der anderes beobachtet hat. „Einige Bewohner mussten abends schon über den Zaun klettern, da sie im Regen draußen standen und nicht ‘rein kamen und sich dann das Tor von innen selber öffneten“, berichtet er. Und „Bierflaschen lagen abends draußen vorm Zaun. Sowas hatten wir noch nie.“

Enttäuschung auch über die Stadtverwaltung: Die versprochene Liste mit Ansprechpartnern bei Problemfällen sei erst nach einem Anruf im Rathaus gekommen. Andere Anwohner haben sie bis heute nicht erhalten.

Aber noch schlimmer sei es, so berichtet er, dass die Eigentumswohnung nicht mehr zu verkaufen sei. Auf ein Viertel des Wertes seien die Preise gesackt. „Wir hatten schon die Anzahlung für ein Haus im Münsterland gezahlt. Jetzt können wir unsere Wohnung nicht verkaufen und müssen sogar noch Entschädigung zahlen“, sagt er. Sein Fazit: „Die Belange der Anwohner werden mit Füßen getreten, und das ist nicht schön. Wir leben auch noch hier.“